Köln. . Die RAF-Geschichte, Alltagsversion: Senta Berger spielt in dem ARD-Film „In den besten Jahren“ die Witwe eines Terror-Opfers. Ein Gespräch mit der großen Schauspielerin über die Apo, den Terror und die Opfer. Und darüber, was den Film vom Eichinger-Film “Der Baader Meinhof Komplexe“ unterscheidet.

Senta Berger ist eine politische Frau. Ihr Herz schlägt links. Daraus hat die Achtundsechzigerin nie einen Hehl gemacht. Der RAF-Terror verwandelte den Traum von einer besseren Gesellschaft in einen Alptraum. Während die Täter-Geschichten oft erzählt wurden, schien das Schicksal von Opfern und Angehörigen fast vergessen. Ihnen widmet Regisseur Hartmut Schön den Film „In den besten Jahren“ (Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD). Senta Berger übernahm die Hauptrolle einer Witwe, deren Mann durch Terror umkam. Passend dazu trägt die 70-jährige Schauspielerin beim Interview im Kölner Wasserturm schwarz.

Welchen Bezug hat der Film „In den besten Jahren“ zum Terror der RAF-Jahre?

Senta Berger: Der Film handelt nicht, wie der „Baader Meinhof Komplex“ von Bernd Eichinger und Uli Edel, von den Taten der RAF; er handelt von den Folgen. Es ist ein Zufall, dass der Film zur selben Zeit entstanden ist wie das Buch von Corinna Ponto und Julia Albrecht („Patentöchter – Im Schatten der RAF“; Red.) – in beiden Fällen geht es um dasselbe Thema: Der Mörder, der geschossen hat, läuft frei herum und ist nicht bestraft worden. Die RAF-Mitglieder sind nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung bestraft worden – und nicht wegen Mordes. Genau das beschäftigt die Angehörigen der Opfer. Sie fragen sich: Wieso wird das nicht aufgedeckt? Warum werden die Menschen nicht gefunden, die andere getötet haben? Ich glaube, es liegt daran, dass bei vielen Aktionen der RAF vom Staat V-Männer eingeschleust wurden. Sie werden geschützt, bis heute. Es gibt etliche Unterlagen, die immer noch nicht freigegeben wurden.

„Uns fehlt plötzlich ein Mann, eine Frau, ein Bruder, eine Tochter“

Warum geht es erst jetzt, mehr als 30 Jahre nach den Anschlägen, um Alltagsmenschen, die zu Opfern wurden?

Berger: Die Namen von Unbeteiligten und ihre Biografien werden bekannt. Das war schon bei Attentaten auf Könige und Kronprinzen im 19. Jahrhundert so. Die Unbeteiligten stehen nicht im Licht der Öffentlichkeit, man verbindet keine Romantik mit ihnen, es gibt kein Politikum, keine große Tragik. Ich glaube, dass wir uns da auch nicht ausnehmen können – es sei denn, uns fehlt plötzlich ein Mann, eine Frau, ein Bruder, eine Tochter.

Warum werden zunächst Täter-Geschichten aufgearbeitet?

Berger: Die Anschläge haben in die Politik eingegriffen. Die RAF verstand sich als politische Bewegung, und es ging um die Frage, wie sich die Politik und die Gesellschaft dazu verhalten haben. Dazu kommt, dass uns die Täter beschäftigen, die Frage, woher ihre Dämonie kommt, das was Dostojewski als Reiz des Bösen beschrieben hat.

„Es war eine Generationen-Frage“

Sie gehören selbst zur Generation Apo. Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit des Umbruchs?

Berger: Wir waren die erste Generation, die sich erlauben durfte, Veränderungen zu wünschen, zu verlangen. Es war nicht nur eine deutsche Sehnsucht. Es war eine Generationen-Frage; es ging um Ablösung. Unsere Generation wollte die Welt neu erfinden. Der verordnete Glaube an die Obrigkeiten, die Allherrlichkeit der Leiter von Schulen und Universitäten – das war schrecklich. Ich selbst bin früh von der Schule abgegangen, weil ich zum Theater wollte, aber mein Mann hat es erlebt, er ist sogar in der Schule geschlagen worden. Mein Mann hat als junger Assistenzarzt erlebt, wie Krankenschwestern vor einer Chefarzt-Visite vorgeschickt wurden, um bei den Patienten den „Spiegel“ wegzuräumen, weil sie ansonsten nicht behandelt worden wären. Dann kamen Geschichten von der Nazi-Vergangenheit von Leuten in der Regierung auf, und wir stellten uns die Frage, wie so etwas passieren kann. Das war die Basis für die 68er-Bewegung. Ich selbst hatte zwar keine Wut, aber ich hatte das Gefühl: Wir sind jetzt dran.

Wie sehen Sie die Studentenbewegung im Rückblick?

Berger: Es war seltsam: Viele der 68er wollten zu den Arbeitern sprechen, aber sie kannten ihre Sprache nicht. Sie äußerten sich in einer seltsam verquasten Sprache, die die Adressaten gar oftmals gar nicht verstanden.

Die liberale Öffentlichkeit hatte damals ein zwiespältiges Verhältnis zur RAF. Warum gab es durchaus Sympathien?

Berger: Damals gab es eine Frage, die unter Intellektuellen kursierte, nämlich: Würden Sie Ulrike Meinhof bei sich übernachten lassen? Die Meinung war: Sie ist die Besonnenste der Gruppe, sie ist die Klügste. Sie wird vielleicht auch mal Schutz brauchen, sie ist dabei, sich verrennen. Viele haben gesagt: Ja, ich würde sie aufnehmen, ich würde mit ihr diskutieren. Und das hätte ich auch gemacht. Nicht, dass ich Sympathien für die RAF gehabt hätte: Ihre Mitglieder wurden mir immer fremder, und zum Schluss wurden sie austauschbar mit anderen terroristischen Vereinigungen. Ich fand den Satz von Dutschke wichtig: Wir gehen den Marsch durch die Institutionen, und das ist ein langer Weg. Die RAF wollte ihn abkürzen.