Essen. . Ein großer Liedersänger, politisch stur und doch ein Freund der Zwischentöne: Franz-Josef Degenhardt, der bis zuletzt an der Utopie von der klassenlosen Gesellschaft festhielt, starb mit 79 Jahren
Vielleicht war es der Westfale in ihm, der kein Jota abrücken wollte davon, die Welt aus Klassenkämpfen zu erklären. Den Zusammenbruch des Staatssozialismus nach 1989 fand Franz-Josef Degenhardt zwar „irritierend“, an der Utopie einer klassenlosen Gesellschaft, an seiner DKP aber hielt der große Chansonnier, der Literat und Anwalt auch dann noch eisern fest, als er sein künstlerisches Gesamtwerk schon für abgeschlossen erklärt hatte.
Franz-Josef Degenhardt, 1931 in Schwelm als Spross einer „militant katholischen und antifaschistischen Familie“ geboren, war das singende, scharfzüngige Megafon der ‘68er-Bewegung – bis sie sich zum „Marsch durch die Institutionen“ aufmachte und von „Väterchen Franz“ nur noch Spott, Satire und tiefere Verachtung für ihre Verbürgerlichung erntete. Die Ironie, das bös verdreht Rollenlied war ohnehin stets seine Stärke, von der ersten Platte 1963 an, deren Cover Horst Janssen malte. Drei Jahre später erschien mit „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ das Lied, das zum geflügelten Wort wurde, obwohl es mit seinem bürgerlichen Blick auf bürgerliche Abgrenzungsbedürfnisse eher zu seinen oberflächlichen Songs gehörte.
Rund 50 Alben und ein gutes Dutzend Romane von Degenhardt
Mal war es Kabarett im Gitarrenakkord, was Degenhardt sang („Wenn der Senator erzählt“, „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“), mal war es Protest- und Polit-Poesie. Der promovierte Jurist, der vor Gericht protestiernde Studenten und RAF-Terroristen verteidigte, blickte am Ende auf rund 50 Alben und ein gutes Dutzend Romane zurück (gute wie „Zündschnüre“ und weniger gute wie „Der Liedermacher“). Er sah sich in einer langen Tradition und wollte bei aller Standfestigkeit auch locker sein, ein loser Vogel sogar, ein poetisch-politischer Bänkelsänger in einer Reihe mit Walter von der Vogelweide, Francois Villon, George Brassens. Lyrisch und derb wie sie war er allemal, vielleicht am schönsten in seinen Talking-Blues-Einspielungen, wenn er seine Raspelstimme mit einem Minimum an Saitenzupfern begleitete.
Suchte er nach einem Bild für die Gesellschaft, wie sie sein sollte, dann war das eine lange Tafel im Freien, mit stets gefüllten Weinflaschen, mit Sängern und selbstverständlich schönen Frauen – „kommt an den Tisch unter den Pflaumenbäumen“ hieß das dann. Und manchmal sang „Väterchen Franz“ auch über den, „der meine Lieder singt“. Dass auch der nur ein Vagant war, ein Hallodri und von Irrtümern nicht frei: „Ich zum Beispiel sang damals ,Zwischentöne sind nur Krampf im Klassenkampf’ – und das war natürlich Krampf!“ Auf die Zwischentöne muss er, muss sein Publikum nun verzichten. Wie seine Familie mitteilte, ist Franz-Josef Degenhardt am Montag in Quickborn bei Hamburg mit 79 Jahren gestorben.