Köln. "Wie geht's, Deutschland" fragte der ehemalige Stern-Chefredakteur und frühere "Ossi-Hasser" Michael Jürgs und liefert eine beeindruckende TV-Dokumentation zum 20. Jahrestag des Mauerfalls. Der Film erzählt von Gewinnern und Verlierern, von wachsamen Träumern und verbohrten Ewiggestrigen.

Wandelbar

Ossi-Hasser?

„Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?" So lautete Michael Jürgs letzter Leitartikel beim „Stern" 1990. Seit 1976 war er als Ressortleiter, seit 1986 als Chefredaktuer bei dem Magazin tätig. Der Artikel kostete ihm den Posten. Fast zwei Jahrzehnte später scheint der ehemalige „Ossi-Hasser" geläutert. „Ich habe für mich eine gewisse Nähe zum Osten entdeckt", sagt er heute. Daher will er in seinem neuen Film „keine Botschaft verkaufen, sondern einen Lagebericht der Nation."

„Warum erreicht die Einheit immer noch nicht die Herzen der Menschen?” Auf Spurensuche, schwerpunktmäßig im Osten, begab sich der Filmautor Michael Jürgs. Für die Dokumentation „Wie geht's, Deutschland?", ZDF, 5. November, 22.15 Uhr, ging er „über Brücken in die Vergangenheit” und durchschritt „Tore in die Zukunft”. Angelika Wölke sprach mit ihm.

Nach 90 Minuten eines beeindruckenden Rück- und Ausblicks auf 20 Jahre Mauerfall kommen Sie zu dem Schluss, dass es noch keine innere Einheit der Nation gibt. Muss man die wirklich anstreben?

Michael Jürgs: Nein. Aber die jetzige Debatte, dass die Mauer in den Köpfen weiterhin besteht, ist nicht richtig. Was stimmt, ist, dass die Einheit in den Köpfen noch nicht angekommen ist.

Ist das nicht auch ein Generationenproblem?

Michael Jürgs: Es ist unser Problem, der 40 bis 60-Jährigen. Die müssen sich den Osten – oder umgekehrt den Westen – erst erarbeiten. Für die nächste Generation ist das kein Thema mehr.

Da bleibt dann nur ein kleiner „ethnischer” Unterschied?

Michael Jürgs: Ja, ähnlich wie in Baden-Württemberg. Wenn man das historisch betrachtet: Wie lange hat es gedauert, bis die zu einem Bundesland zusammengewachsen sind.

Kommen wir noch einmal zurück zur Jugend. Sie haben in einem Gymnasium in Ostberlin gedreht. Die jungen Menschen dort wussten wenig über den Mauerfall, über die Stasi und das Leben in der DDR.

Michael Jürgs: Jugend war mir wichtig. Die wissen wirklich nicht, wie es gelaufen ist 1989. Daher haben wir viel mit Rückblicken gearbeitet.

Deshalb haben Sie „den vergessenen Helden des runden Tischs” auch eine längere Passage gewidmet?

Michael Jürgs: Sie verdienen es, noch einmal gezeigt zu werden, dass ihre Rolle noch einmal beleuchtet wird. Sie haben eine der faszinierendsten Geschichten der Einheit geschrieben.

Mit heute bekannten Figuren wie Matthias Platzeck...

Michael Jürgs: Und Angela Merkel. Das ist doch unglaublich, dieses verhuschte Mädchen, das Pressesprecherin von Pfarrer Rainer Eppelmann war, am Rande des Tisches zu sehen. Und heute ist sie eine der mächtigsten Frauen der Welt.

Sie haben ja sozusagen den Film zum 2008 veröffentlichten Buch gemacht. Was hat sich verändert?

Michael Jürgs: Wir hatten jetzt die Möglichkeit, das erste Interview seit 1989 mit dem Eppelmann-Verräter und Stasi-Spitzel Wolfgang Schnur zu führen. Und ich habe mich noch weiter von den Metropolen entfernt, in die vergessenen Regionen, wo die Wirklichkeit anfängt, mit hoher Arbeitslosigkeit, wenig Perspektive und abwandernder Jugend.

Und sind von den vom Schicksal gebeutelten Ossis zu den Leidensgenossen im Westen, nach Gelsenkirchen und Waltrop gefahren.

Michael Jürgs: Dass dort das Gefühl der Benachteiligung aufkommt, kann ich verstehen. Wenn eine Stadt wie Gelsenkirchen sechs Millionen Euro für den Aufbau Ost über Kredite finanzieren muss, dann ist das den Menschen in der Region nicht mehr zu erklären.

Gibt's eine Alternative?

Michael Jürgs: Wir brauchen einen Aufbau Deutschland. Dann wäre die Stimmung auch besser. Darüber hinaus könnte man über einen regelmäßigen Schüleraustausch nachdenken. Zum besseren Kennenlernen. Es ist doch erschreckend, dass 60 Prozent der Bayern bis heute noch nicht in den neuen Bundesländern waren.