Essen. . Eine Richterin begeht einen Mord aus Notwehr. Danach steht ihre Karriere auf dem Spiel. Scheinbar bewegte sie sich in der Sado-Maso-Szene. Der Bodensee-Tatort „Im Netz der Lügen“ spielt gekonnt mit der Opfer-/Täterrolle.

Mehr Idylle geht nicht. Der Bodensee funkelt im Morgenlicht, das Ufer ist menschenleer. Richterin Heike Göttler joggt ihrem Arbeitstag entgegen. Weil das hier aber kein Rosamunde-Pilcher-Film, sondern der Tatort ist, erscheint just das Böse im Bild. Ein Mann kommt aus dem Gebüsch, stürzt sich von hinten auf die Joggerin, reißt sie nieder.

Als die Kommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) am Tatort erscheinen, werden sie von einer ziemlich ungerührten Heike Göttler (Karin Giegerich) begrüßt: „Ich würde Ihnen ja die Hand geben, aber die Spuren sind noch nicht gesichert.“ Dem potentiellen Vergewaltiger hat sie mit ihren Gewichtsmanschetten mit fünf Schlägen den Schädel zertrümmert. Aus dem Täter wurde das Opfer und umgekehrt. Dieses Spiel mit der Täter-/Opferrolle durchzieht den gesamten Tatort. Das Drehbuch von Dorothee Schön lockt den Zuschauer geschickt auf falsche Fährten und versteht es, ihn lange dort zu halten.

Für Klara Blum scheint der Fall so schnell erledigt, wie er aufgekommen ist: Es war schließlich Notwehr. Kühl und sachlich erklärt die Richterin den Kommissaren, wie die nächsten Arbeitsschritte auszusehen haben, lässt sich bereitwillig verhören und wirft sich noch am selbenTag wieder in ihre Richterrobe. Professor Lorenz (Marek Ehrhardt), Fachmann für mimische Mikro-Expressionen, weist die Ermittler darauf hin, dass Heike Göttler sich nicht verhält wie ein verschrecktes Vergewaltigungsopfer. Aus ihrem Gesicht liest er lediglich pure Verachtung. Unter Kollegen ist die Richterin für ihre Strenge und Unerbittlichkeit bekannt - besonders wenn es darum geht, gewalttätige Männer zu verurteilen. War es also ein berechnender Akt der Gewalt und damit doch Mord?

Aus Verbundenheit wird Krieg

Als herauskommt, dass der Tote sich in einem Sado-Maso-Forum mit einer gewissen Justine am Ufer zu einvernehmlichen Sex verabredet hat, zweifelt Klara Blum immer stärker an Göttlers Glaubwürdigkeit. Vom Gerichtspräsidenten, dem die abgebrühte Richterin schon länger ein Dorn im Auge ist, erfährt sie auch noch, dass Heike Göttler von Kollegen Justine genannt wird. Aus einer anfänglichen Verbundenheit der beiden Frauen erwächst ein Krieg um die Wahrheit. Auch das Lesen von Gesichtsausdrücken bringt die Kommissarin nicht mehr weiter.

Das Netz aus Lügen wird immer dichter gewebt. In ihrer Ermittlung stoßen Blum und Perlmann auf Ernst Heck (Matthias Freihof), einen Familienvater, den Heike Göttler wegen Vergewaltigung in der Ehe zu zwei Jahren Haft verurteilt hatte. Seine Motive, die Internetverabredung eingefädelt zu haben, um sich an der Richterin zu rächen, wären groß genug. Aber warum führen die IP-Adressen aller Beteiligten zu Heike Göttler?

Der Tatort „Im Netz der Lügen“, der am Sonntag, 27. März, um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt wird, ist ein Studium menschlicher Fassaden. Den Schauspielern dabei zuzusehen, wie diese langsam zerbröckeln, macht Freude. Im Falle Heike Göttlers ist es die Presse, die sie um ihre Fassung bringt. Ein frustrierter „kleiner Schreiberling“, wie Perlmann ihn nennt, erschleicht sich die Zuneigung der Sekretärin Beckchen, um an interne Informationen zu kommen. Die Mühe hat sich gelohnt, am nächsten Tag treibt die „schöne Richterin vom Bodensee“ die Auflage seiner Zeitung nach oben. Beckchen dagegen bleibt doch wieder allein zurück, da kann sie sich noch so sehr in Schale werfen. Ihren Kummer bekämpft sie mit den Kollegen und einem scharfen Tropfen in der „Strandperle“.