Essen/Bonn. .
Bei Stuttgart 21 gibt es einen Gewinner: den öffentlich-rechtlichen Info-Kanal Phoenix. Das Wut-Thema sensibilierte politikinteressierte Zuschauer. Dazu entwickelte Schlichter Heiner Geißler Qualitäten als TV-Moderator.
An neun Tagen suchte der altgediente Christdemokrat die Wogen der Erregung zu glätten – unter großer öffentlicher Anteilnahme. Sendersprecher Wolfgang Maier-Sigrist: „Im Monatsdurchschnitt erreichte Phoenix ein Prozent der Zuschauer - das ist der beste Wert für einen November seit Sendebeginn 1997.“ Das Interesse der Zuschauer sei während der gesamten Übertragung der neun Verhandlungstage überdurchschnittlich hoch gewesen. Im Schnitt verfolgten die Zuschauer das stets vielstündige Bahn-Spektakel 75 Minuten pro Verhandlungstag. Beim Finale hielt es das Publikum sogar knapp zwei Stunden lang vor den Bildschirmen. Insgesamt verbuchte der in Bonn beheimatete Sender 5,6 Millionen Zuschauer bei den Schlichtungsgesprächen.
Einen Rekord vermeldete Phoenix auch für seine Online-Berichterstattung. „phoenix.de“ wurde knapp 514.000 Mal angeklickt, 164.000 Nutzer verfolgten den Live-Stream. Damit sei die Phoenix-Homepage im November so häufig angeklickt worden wie noch nie zuvor in der Sendergeschichte: mehr als 3,5 Millionen Mal. Die Stuttgart-21-Videos wurden auf dem YouTube-Kanal des Senders gern gesehen - 364.000 Mal.
Polit-Profi war Moderator mit Unterhaltungstalent
Der Publikumszuspruch geht zu einem guten Teil auf den Schlichter zurück, der als medienerfahrener Polit-Profi über Moderationsfähigkeiten verfügt. Der 80-Jährige übersetzte das Fach-Chinesisch der Verhandlungsrunde ins Alltagsdeutsch und besaß überdies Unterhaltungswert. Ob Phoenix diese Qualität Geißlers weiter nutzt, ließ die Sender-Führung diplomatisch offen: „Heiner Geißler ist uns als meinungsstarker Gast mit seinen pointierten Aussagen viel zu wichtig, als dass wir ihn als zur Neutralität verpflichteten Moderator in seinen Fähigkeiten beschneiden wollen.“
Die Programmmacher von Phoenix glauben, der Erfolg der Stuttgart-21-Sendungen stehe prototypisch für den Programm-Auftrag der kleinen Bonner Truppe. Der Sender, hieß es, sei „der geborene Partner, politische und gesellschaftliche Prozesse zu begleiten“. Phoenix wolle politische Prozesse durchschaubar machen; der Sender stehe für „Verlässlichkeit und Objektivität“.
„Explosive Diskussion versachlicht“
Allerdings glauben Kritiker, dass die Öffentlichkeit bei den Verhandlung nicht unbedingt hilfreich war, weil die Beteiligten einen Gesichtsverlust fürchteten. Dem widerspricht die Senderführung: Gerade Stuttgart habe gezeigt, „wie eine zu Beginn hoch explosive, sehr emotionale Diskussion versachlicht wurde“.
Phoenix sieht die Übertragungen des Stuttgarter Schlichtungsmarathons als wegweisend. Christoph Minhoff, Sender-Chef gemeinsam mit Michael Hirz: „Was in Stuttgart stattgefunden hat, ist beispielhaft für die Zukunft. Bei anderen Großprojekten, wo es ebenfalls ein solches Informationsdefizit gibt, wird sich so eine Übertragung wieder anbieten.“ Durch die 80 Stunden lange LIVE-Übertragung hat die politische Diskussion in Deutschland eine neue Dimension in der Mediendemokratie erreicht.“
Der Live-Übertragung von Stuttgart 21 misst Programmgeschäftsführer Christoph Minhoff Modellcharakter zu. „Solche Übertragungen bieten sich möglicherweise auch für andere umstrittene Großprojekte an, bei denen es Kommunikationsdefizite gibt.“