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Edgar Selge spielt starke Rollen. „Der verlorene Vater“ ist so eine. Der Film läuft Mittwochabend in der ARD, im Interview spricht der 62-jährige Selge über seinen eigenen Vater - und beschreibt die Beziehung zu seinen Kindern.

Ob Grimme oder Deutscher Fernsehpreis: Edgar Selge (62) zählt zur Top-Riege deutscher Charakter-Schauspieler. Sein Erfolgsrezept: Der gebürtige Sauerländer nimmt sich als Person zurück. Dafür geht der mit seiner Kollegin Franziska Walser verheiratete Wahl-Münchner umso mehr in seinen Rollen auf – wie in „Der verlorene Vater” (Mittwoch, ARD, 20.15 Uhr). Jürgen Overkott sprach mit ihm über Väter, Erziehung und Gleichberechtigung.

Ihr Vater war Gefängnisdirektor. Wie viel Freiheit hatten Sie zuhause?

Edgar Selge:Ich habe nicht weniger Freiheit gehabt als andere junge Menschen meiner Generation, nur weil mein Vater Gefängnisdirektor war.

Sie sind in einer Zeit groß geworden, als der Vater in der Familie eine viel stärkere Position hatte, als das heute üblicherweise der Fall ist. War Ihr Vater auch die entscheidende Instanz?

Selge:Er hat die dominierende Rolle bei uns gespielt.

Ihre Generation hat viel Energie darauf verwandt, sich von der Vater-Generation abzugrenzen. In welcher Hinsicht wollten Sie anders werden als Ihr Vater?

Selge:Mir ging es bei unseren Kindern besonders darum, sie ihren eigenen Anlagen gemäß zu fördern. Wenn ich überhaupt ein Erziehungsprinzip gehabt habe, dann das: meine Kinder ernst zu nehmen, mich darüber zu freuen, dass sie da sind. Bei früheren Generationenen, und das gilt auch für meine Eltern, gab es durchaus Vorbedingungen für die Liebe der Eltern zu ihren Kindern: zum Beispiel ihre Aufrichtigkeit, ihr Anstand, ihr Respekt für die Eltern als moralischer Instanz. In diesem Punkt wollte ich mich von meinen Eltern abgrenzen: Das Verhältnis zu meinen Kindern sollte von einer Art Grundvertrauen geprägt sein, unabhängig davon, was sie machen oder wo auch immer sie versagen. Die Liebe zu meinen Kindern sollte keine Vorbedingungen stellen.

Das mag nicht immer leicht sein, vielleicht ist es sogar eine Utopie, aber es scheint mir der einzige Wert zu sein, um den ich mit mir selbst ringen möchte. Meine Frau und ich sind in diesem Punkt stark von Maria Montessori geprägt, die davon ausgeht, dass Erwachsene viel zu wenig von ihren Kindern lernen.

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Von DerWesten

Ihre Kinder dürfen Geheimnisse haben.

Selge:Kleine und große.

In dem Film „Der verlorene Vater” geht es darum, dass ein Vater nach der Trennung von Frau und Kindern die Kontrolle verliert, über sich selbst und das Leben seiner Familie. Um mal bei den Kategorien Ihres Vaters zu bleiben: War die Filmfigur ehrlich zu sich selbst?

Selge:Nein, das ist das Hauptproblem. Der Mann im Film ist so unglücklich, dass er seinen Alltag nur überstehen kann, indem er sich selbst belügt. Und er merkt es natürlich nicht.

Inwiefern?

Selge:Er redet viel über das Wohl der Kinder, aber in Wirklichkeit führt er einen Krieg mit seiner Frau auf dem Rücken der Kinder. Er kann nicht akzeptieren, dass seine Frau ihn verlassen hat und er damit auch die Kontrolle über die Erziehung seiner Kinder abgeben muss. Da er im Unterschied zur Mutter seiner Kinder keine Herkunftsfamilie hat, offensichtlich auch keinen engen Freundeskreis, bleibt er in seiner subjektiven Wahrnehmung gefangen.

Sie geben Ihrer Figur individuelle Züge, aber dennoch spiegelt sie die Probleme eines erheblichen Teils unserer Gesellschaft. Wie waren die Reaktionen nach der Erstausstrahlung des Films bei Arte?

Selge:Die Zuschauer waren sehr beeindruckt von der beklemmenden Gesamtsituation. Das Ganze hat etwas von einem Horrorfilm, es ist der Horror von Beziehungen, die sich von außen bedroht fühlen, die eine Wagenburg-Mentalität entwickeln.

Ein starker Motor der Geschichte ist die Tatsache, dass die Frau mehr verdient als ihr Mann. Gehören die Männer zu den Verlierern der Emanzipation?

Selge:Das würde ich so nicht ausdrücken. Die Männer könnten emotional zu den Gewinnern der Emanzipation gehören, wenn sie es zulassen, dass die Frauen ihnen in der Leistungsgesellschaft im Kampf um die Führungsrollen den Stress abnehmen. Das Abgeben von Kontrolle kann zu einer großen Erleichterung führen.

  • „Der verlorene Vater“, Mittwoch, 22. September, 20.15 Uhr ARD