Köln. .

Die große Unbekannte namens Publikum hat entschieden: Top-Favoritin Lena Meyer-Landrut und Rock-Röhre Jennifer Braun stehen am Freitag im Finale von „Unser Star für Oslo“. Für Kerstin Freking und Christian Durstewitz endete im Halbfinale der Traum vom „Eurovision Song Contest“.

Die Masse hat nicht zwingend Geschmack, allenfalls Massengeschmack. Da ist Vibrato-Amplitude Schnick und Falsettstimme Schnack, da ist eine Kerstin Freking Geschichte und ein Christian Durstewitz gleich mit. Die große Unbekannten namens Publikum hat entschieden, Überraschung inklusive: Rock-Röhre Jennifer Braun steht im Finale von Stefan Raabs Eurovision-Song-Contest-Casting-Kracher „Unser Star für Oslo“ (USFO)– ach ja, Lena Meyer-Landrut natürlich auch.

Die Erfindung der Langsamkeit

Es hätte alles so schnell gehen können in diesem Halbfinale. Vier Kandidaten à zwei Lieder, Publikum stimmt ab, zwei raus, zwei weiter – Abspann und Schluss. Aber nein, das wäre dann doch zu einfach gewesen. Also lieber kompliziert: Vier treten auf, Publikum stimmt ab, drei treten auf, Publikum stimmt wieder ab, zwei bleiben übrig – Finale. Da bekam selbst Moderatorin Sabine Heinrich als charmanter Erklärbär so ihre Probleme. „Jetzt noch nicht anrufen!“ „Jetzt anrufen!“ „Jetzt nicht mehr anrufen!“ „Jetzt wieder anrufen!“ Und natürlich hatte Kandidatin Jennifer Braun dann als Startnummer drei die Rufnummer vier, denn vorher war sie ja Startnummer vier, aber die alten Anrufe wurden gelöscht, also ruhig noch einmal wählen – alles klar?

Die Langsamkeit hätte nicht schleppender erfunden werden können: Wer bitte braucht vier Schnelldurchläufe? Ja, selbst die Kandidaten blickten müde in die Kamera, als ihr Kopf zum vierten Mal die eingeblendete Telefonnummer illustrierte, eine Bildstörung wäre jetzt Gnade gewesen – aber schellende Telefone lassen nun einmal die Kassen des Privatsenders klingeln. Und kostete der Anruf aus dem deutschen Festnetz bei der ARD am Freitagabend gerade einmal 14 Cent, nahm ProSieben glatte 50.

Struwwelpeter und Hippie-Elfe chancenlos

Langsam ließen es zunächst auch die Kandidaten angehen. Struwwelpeter Christian „Dursti“ Durstewitz peppte Jason Mraz´ „I´m Yours” zwar ordentlich auf, ließ der Gitarre ihren Lauf und wäre für jedes Lagerfeuer eine willkommene Bereicherung, war aber schon mal schwungvoller – was man von Hippie-Elfe Kerstin Freking nicht gerade behaupten kann. Die setzte erneut auf Alanis Morissette, nach „Thank you“ nun „Hands Clean“ als Gute-Nacht-Version. Da konnten auch Mut zu Stirnband und Strumpfhose wenig retten: süß, aber lahm.

Und selbst Wirbelwind Lena Meyer-Landrut, sonst hüpfend, zappelnd, nicht zu bremsen, schlug sanfte Töne an, bewies mit Jason Mraz´ „Mr. Curiosity“ dass sie nicht nur still stehen, sondern, wie Jury-Präsident Raab treffend bemerkte, „sogar singen kann“. Da hatte USFO-Küken Jennifer Braun leichtes Spiel, das Publikum lechzte geradezu nach Party-Krachern. Mit „Heavy Cross“ von Gossip rockte sie die Bühne, reife Stimme, souveräne Leistung – der Saal tobte, die Jury auch.

Jan Delay fand Kerstin Freking „derbe“ gut

Die war zum Glück um Freitags-Jurorin Anke Engelke ärmer, denn krampfig komisch ist nicht lustig – Barbara Schöneberger schon. Der nimmt man auch den fünften Witz übers eigene Alter nicht wirklich übel, mangelnde Kompetenz erst recht nicht. Bei „Dursti“ fehlte ihr der „homosexuelle Teil“, ohne den beim ESC wohl keine zwölf Punkte zu holen sind, bei Lena das eigene Verständnis für den englischen Text: „Aber ich habe verstanden, das Du ihn verstanden hast“ – reicht ja. Und dann war da noch Echo-Abräumer Jan Delay, der den Jury-Streichelzoo um ein paar kritische Töne bereicherte: Dass Kerstin Freking aber auch jedes Wort betonen muss und die Performance von Jennifer Braun, na ja.Das Studiopublikum dankte es ihm mit flammenden „Buh“-Rufen, da fand dann auch der Jan schließlich alles ganz „derbe“ gut.

Für Stefan Raab hingegen gab es nichts Neues unterm Studiohimmel, die Originalität seiner Kritik glich einem Schnelldurchlauf. Lena hatte mal wieder das Talent „etwas völlig Neues aus einer Männernummer zu machen“, auch „Dursti“ hat „sein eigenes Ding gemacht“ – wie schon so oft – und sowieso haben alle Kandidaten eine „interessante Entwicklung“ hinter sich. Sieben Folgen „Unser Star für Oslo“: Da fällt auch einem Stefan Raab nicht mehr viel ein.

Stimmgewalt statt Drecksstimme

Aber dann kam Tempo ins Casting-Karussell. Für Kerstin Freking fiel der Vorhang, keine neue Nicole aus Osnabrück, keine Zeit für große Trauer: Runde zwei im Halbfinale. Da setzte Dursti mit Charlie Winstons „In Your Hands“ auf Soul und Tempo, blies kräftig in die Mundharmonika und wackelte ausgelassen über die Bühne, da versuchte es Lena gar mit Bewährtem, miaute und schnurrte mit fräuleinhaftem Charme „The Lovecats“ von „The Cure“ und auch Jennifer Braun ging kein Risiko ein, röhrte „Hurt“ von Christina Aguilera mit gewohnt kräftiger Stimme. Soweit keine Überraschungen – und dann die Überraschung.

Eigentlich war doch schon alles klar: „Dursti“ und Lena im Finale, durchgeknallter Stirnband-Rocker konkurriert mit wahnsinnigem Fräuleinwunder – das passte wie Marianne zu Michael, Cindy zu Bert, Sonny zu Cher. Doch das Publikum wollte nicht „Dursti“, sondern Jenny, Stimmgewalt statt Drecksstimme, Powerrock statt Rock vom Feinsten. Es sei ihr gegönnt, ihre Auftritte waren makellos, kraftvoll – aber eben auch gewöhnlich. Der Mitgrölfaktor war wohl ausschlaggebend, eine Lena plus ein „Dursti“ vielleicht zu bekloppt für Deutschlands Wohnzimmer. Nun machen die Ladies das Finale am Freitag in der ARD unter sich aus, Lena und Jennifer, eine wird es werden: „Unser Star für Oslo“.