Düsseldorf. Nach dem Ausscheiden von Jessica stehen die letzten Kandidatinnen von „Germany’s Next Topmodel“ fest. Vor dem Finale durften Sara, Mandy und Marie in der krisenfesten Parallelwelt von Singapur ausspannen. Naja, fast.
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass die aktuelle Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ so erfolgreich ist. Sie ist die gefilmte Anti-Krise, der Bilder- und Regenbogen in düsteren Zeiten. Die Sendung spielt in so ziemlich jeder Hinsicht unter einer Glasglocke. Hier gelten Prinzipien, die derzeit eigentlich passé sind: Stretch-Limo statt Linienbus, Hilton statt Hostel, Singapur statt Sindelfingen. Wir sehen schöne Menschen an schönen Orten, die schöne Dinge tun. Eskapismus pur.
Das klingt freilich schlimmer, als es ist. Schließlich ist alles Mögliche Eskapismus: Fantasy-Literatur, Hollywood-Filme, Musik, Alkohol, Partys, ja sogar ein Brettspielabend an der Waldorfschule. Sich dem Alltag zu entziehen ist normal, derzeit erst recht. Wer will schon den ganzen Tag auf den Insolvenzticker von n-tv starren? Und dennoch gibt es einen Unterschied zwischen, sagen wir, Harry Potter und „Germany’s Next Topmodel.“
Wenig Zeitaufwand - maximales Ergebnis
Die Sendung gibt immerhin vor, nicht-fiktiv zu sein. Und das mit Nachdruck. GNTM ist ein sonderbares Konstrukt, das den Kandidatinnen ständig eine protestantische Arbeitsethik einhämmert – früh aufstehen, hart arbeiten, nicht jammern – und dafür sehr diesseitige, um nicht zu sagen: extrem unbescheidene, Entlohnung verspricht. Die Glitzerwelt, die Heidi Klum & Co. jede Woche heraufbeschwören, ist nicht das eigentliche Problem; es ist eher die Erwartungshaltung und der Realismusanspruch der Sendung.
Drei Monate sind die Kandidatinnen nun zusammen, betont der Off-Kommentator in der gestrigen Folge. „Eine Zeit, in der die Models viel gelernt haben.“ Mag sein. Andererseits: Welchen normalen Beruf erlernt man schon in drei Monaten? Und welches Karrierekatapult schießt einen innerhalb dieser Spanne über 20 Gehaltsstufen? Sowas ist unter realistischen Bedingungen nicht möglich. Und so hat Markus Brauck völlig Recht, wenn er im „Spiegel“ Vergleiche zwischen Castingshows und Finanzmärkten zieht. Hier wie dort regiert die Illusion, mit wenig (Zeit-)Aufwand Maximales zu erreichen.
Es gibt Momente, da scheint den Kandidatinnen die Halbwertzeit ihres Hochs zu dämmern: „Wird ganz schön komisch, wenn wir wieder zuhause sind,“ sagt Sara am Ende der gestrigen Sendung in ihrem Bett über den Dächern von Singapur. „Ich hab ein bisschen Angst,“ ergänzt Mandy.
Besonders lange Gameshow
Die Hauptillusion der Castingsendungen besteht darin zu behaupten, für das Show- und Modelbusiness gälten andere Gesetze als für den Rest der Arbeitswelt. So, als ob eine Ausbildung vor der Kamera im Zeitraffer funktioniere, mit hundertfach erhöhter Ertragsquote. Um das zu „beweisen,“ werden ab und zu Teilnehmerinnen vergangener GNTM-Staffeln gezeigt, die inzwischen angeblich zu tollen Jobs gekommen sind. In Wirklichkeit bewegen sie sich meist im geschlossenen Kosmos von Pro Sieben und sind wenig mehr als O-Ton-Geber in Recyclingsendungen wie „Red,“ wo man jeden Schnipsel aufhebt, der auf den Boden des GNTM-Schneideraums gefallen ist.
Natürlich kann man das Ganze auch weniger verbissen sehen. Vielleicht ist GNTM einfach eine besonders lange Gameshow, deren Preise in Form von Reisen und Foto-Shootings vergeben werden. Danach geht’s zurück ins Leben. Das echte.