Marl. Bei den Wahlsendungen war 2009 der interaktive Zuschauer gefragt. Er konnte mit SMS, E-Mail, per Fax und Handy seine Fragen stellen. Das Ziel: Moderatoren wollen Politiker mit Volkes Stimme konfrontieren. Über den neuen Hype sprach Angelika Wölke mit Uli Spies vom Grimme-Institut in Marl.
Hat das Ganze mehr als eine Alibi-Funktion, bei der sich das TV zum Anwalt der „Opfer” macht?
Ulrich Spies: Da dem Fernsehen insbesondere die junge Generation mehr und mehr den Rücken kehrt, werden die schnellen und interaktiven neuen Medien als Vehikel zur Rückgewinnung von Zuschauern genutzt. Außerdem hat der letzte US-Wahlkampf als Vorbild gedient, der gezeigt hat, wie mit Hilfe des Internet Wahlen gewonnen werden können.
Aber Deutschland ist noch nicht Amerika . . .
Spies: Ja. Es fehlt in Deutschland an einem auch nur annähernd vergleichbar charismatischen und überzeugenden Kandidaten wie Barack Obama, der hier aus einer Direktwahl locker mit absoluter Mehrheit hervorginge.
Zuschauerbeteiligung im TV
Frank Plasberg war mit seiner Polit-Talk „hart aber fair” ein Vorreiter der Zuschauerbeteiligung. Interessierte können sich mit ihren Meinungen, Fragen, Ängsten und Sorgen per Telefon, Internet, Fax oder E-Mail in die Sendung einmischen. Allerdings bündelt Bürgertelefon-Reporterin Brigitte Büscher die Einwürfe. Warum?
Frank Plasberg: "Einzelne Zuschauermeinungen in der Sendung vorzutragen, trifft nicht automatisch die Wirklichkeit. Setzt man Zuschauerstatements aus dem Gästebuch gezielt ein, können sie die Diskussion nach vorne treiben, Mails, die während der Sendung einlaufen, sind aber fast immer reflektiv, das heißt, die Diskussion ist längst an einem anderen Punkt. Das ist misslich für eine für die anderen Zuschauer. Von daher sind wir dazu übergegangen, Zuschauerstimmen zu bündeln und sie von einer Journalistin in die Sendung einbringen zu lassen. Man bekommt SO eher einen Überblick. Das ist authentischer, fruchtbringender."
n-tv-Moderatorin Leo Busch, die das Experiment ebenfalls wagte, erklärte, dass lediglich 0,1 Prozent ihrer Zuschauer dieses Angebot annehmen. Ist der Zuschauer an diese neuen Möglichkeiten der Mitwirkung noch nicht gewöhnt?
Spies: An mangelnder Gewöhnung liegt es weniger, es sind eher Resignation und Ohnmacht, die sich lähmend auswirken. Das belegen auch die steigenden Zahlen der Nichtwähler. Ein weiterer Grund mögen schlechte Erfahrungen sein, die man mit TV-Gewinnspielen bei 9live gemacht hat, wo man in 99% der Anrufe nur einen Automaten als Gesprächspartner erreicht.
Wie sieht es bei der Zielgruppe Jugend aus, die mit TV, Internet, Blogs und Foren gleichzeitig umgehen kann. Auch sie scheinen nicht interessiert. Funktioniert Aufklärung nicht mehr?
Spies: Mit Aufklärung hat das weniger zu tun. Das beweisen die Messungen von Hits bei YouTube, StudiVZ und anderen Foren, in denen es um Dinge und Themen geht, die junge Leute wirklich interessieren. Auch hier sind die Ursachen in mangelnden Vorbildern und dem Vertrauensverlust in eine Politikerklasse zu suchen, die den Bezug zur Realität und Basis der Bevölkerung weitgehend verloren hat, weil sie von den durch sie selbst als Gesetzgeber beschlossenen einschneidenden Maßnahmen ins soziale Netz nicht betroffen sind.
Ein letzter Aspekt: Das Kanzler-Duell – vier Moderatoren treffen zwei Politiker – hatte mit 14,2 Millionen Zuschauer die schlechteste Quote in der Geschichte der Sendung (2005 waren es 21 Millionen). Schnell kam die Forderung auf, in Zukunft wieder mit zwei Moderatoren zu arbeiten. Wie sehen Sie das?
Spies: Die Zahl der Moderatoren ist nicht entscheidend, sondern die sich nicht wirklich duellierenden Politiker sind das Problem: Wenn Kanzlerbonus und Profillosigkeit ohne jeglichen Unterhaltungswert mit stumpfen Klingen nur zum Schein gegeneinander kämpfen und nach System-Proporz verrechnete Moderatoren sich mit ihren Fragen nicht an die das Wahlvolk interessierende Schmerzgrenze vorzudringen wagen, dann hätten 14,2 Millionen Zuschauer lieber mit ihrer Familie, Partnern und Freunden Domino spielen können.