Dortmund. Der Tatort feiert 50-jähriges Bestehen. Die Doppel-Jubiläumsfolge kann aber leider weder mit Drehbuch noch mit Realitätsnähe punkten.
Wieso ermittelt Faber ( Jörg Hartmann ) neuerdings im Bereich Organisiertes Verbrechen oder Drogen? Der Hauptkommissar der Mordkommission Dortmund hat offenbar nichts Besseres zu tun, als stundenlang in einem Wohnmobil zu hocken und per Video und Richtmikrofon zu belauschen, was im Hinterhof einer Pizzeria in Dortmund-Kley geschieht.
Klar, er hat den persönlichen Verdacht, dass die Kisten, die dort in großen Mengen per LKW angeliefert wurden, der kalabrischen Mafia gehören und randvoll mit Kokain gefüllt sind. Auf dem unauffälligen Privatgrundstück werden die Kartons nun für den europaweiten Weitertransport umgeladen – ganz in der Nähe des Restaurants liegt günstig ein Autobahnkreuz, das den Vertrieb in alle Himmelsrichtungen erleichtert.
Tatort-Handlung erweist sich im Realitätscheck als hanebüchen
Aber Fabers unkoordinierte Abhöraktion ist im Realitätscheck ziemlich hanebüchen – zu viel Personal, zu viel Technik für eine Einzelaktion auf bloßen Verdacht. Wer soll das bezahlen? Was soll mit den ermittelten Erkenntnissen anschließend geschehen? Vermutlich ist sogar der ganze Einsatz illegal. Denn immer noch bedarf in Deutschland „das Abhören und Aufzeichnen von nichtöffentlichen Äußerungen einer verdächtigen Person“ einer richterlichen Anordnung ( § 100 f StPO ). Konkret heißt das, ein Richter muss in jedem Einzelfall den begründeten Verdacht prüfen und den Einsatz genehmigen.
Wie hätte Faber also, ohne bis dahin eine Leiche vorweisen zu können, an eine solche Anordnung kommen sollen? Zuständig für die Verfolgung von Straftaten organisierter Verbrecher wie der Mafia ist ohnehin das BKA. Deshalb ist auch die Verlängerung der „Genehmigung für den Einsatz“, die Faber frech seinen Münchner Kollegen vorlegt, offensichtlich selbst gebastelt. Ein Dokument mit diesem Namen gibt es in Wirklichkeit nicht. Außerdem wäre die mehr oder weniger freiwillige Verkabelung der Ehefrau des Pizzabäckers wieder ein neuer Einzelfall, der von einem Richter hätte geprüft werden müssen.
Dass die Münchner Hauptkommissare Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) nach Dortmund reisen, um einen in Bayern per Haftbefehl gesuchten Mordverdächtigen abzuholen, ist zwar im Rahmen länderübergreifender Ermittlungen nicht unüblich. Allerdings hat immer ein „mutmaßliches Tötungsdelikt einen höheren Stellenwert als etwa der Verdacht des Handelns mit Betäubungsmitteln“, bestätigt die Pressestelle der Polizei Dortmund.
Tatort-Kommissare wirken dank Drehbuch wie unfähige Idioten
Warum sollten sich die Münchner auf die windige Aktion des Dortmunders also überhaupt einlassen? Auch deren persönlich eher ruppiges Verhältnis zueinander liefert dafür keine Erklärung. Das ist auch die Krux an diesem zweiteiligen Jubiläums- „Tatort“: Zur Feier des 50jährigen Bestehens der Reihe lässt er – mit großem Aufwand – seine Protagonisten wie unfähige Idioten aussehen. Mit realer Polizeiarbeit, die rechtsstaatlich geregelt und auch sehr hierarchisch strukturiert ist, hat dieser „Tatort“ jedenfalls nichts zu tun.
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Vier Kommissare aus zwei Bundesländern – NRW (WDR) und Bayern (BR) – ermitteln gemeinsam in einem Bereich, der sie nichts angeht. Sie machen Fehler um Fehler und handeln durchgehend ohne Rückendeckung durch die Staatsanwaltschaft auf eigene Faust. Eine Zeugin kommt im Verlauf einer nicht legitimierten Aktion zu Tode – und es passiert nichts.
Niemand ermittelt die Umstände, wie es zu ihrem Tod gekommen ist. Geschweige denn, dass die (fahrlässige) Mitwirkung der Kommissare irgendwelche disziplinarischen Konsequenzen nach sich ziehen würde. Zum Jubiläum dürfen Tatort-Kommissare offenbar alles – selber Straftaten begehen und sich dabei blamieren.
Das Drehbuch von Bernd Lange, der schon für viele Krimis gelobt und ausgezeichnet wurde, sprengt ohnehin das Format der Reihe – nicht nur weil der Fall doppelt so viel Zeit wie üblich braucht (zweiter Teil am 6. Dezember). Über weite Strecken erzählt „In der Familie“ die Ereignisse auch vollständig aus der Perspektive der Mafia – à la Martin Scorsese, nur nicht so dicht.
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Jubiläums-Tatort: Immerhin die Fakten über die Mafia stimmen
Immerhin, die Fakten um die kalabrische Mafia stimmen – soweit sie sich in Bezug auf dieses Milieu überhaupt offen nachrecherchieren lassen. Diese „Familie“ heißt in Wirklichkeit „Ndrangheta“ und ist in den letzten Jahren zur gefährlichsten und internationalsten Mafia Italiens aufgestiegen, mit einem geschätzten jährlichen Umsatz von 50 Milliarden Euro. Ihre wichtigste Einnahmequelle bildet der Drogenhandel, wie im „Tatort“ erzählt: Die kalabrischen Clans sollen fast den gesamten europäischen Kokain-Markt kontrollieren. Selbst die Cosa Nostra und die Camorra sowie zahlreiche US-Drogensyndikate beziehen ihr Kokain inzwischen angeblich von den Kalabresen.
Als weitere Haupteinnahmequelle der Familie gilt die Erpressung von Gastwirten italienischer Herkunft, die gezwungen werden, überteuerte oder minderwertige Lebensmittel aus Italien zu beziehen, zum Beispiel Olivenöl oder – wie auch im „Tatort“ angespielt – Wein. Auch in Deutschland ist die Ndrangheta aktiv: Nach aktuellen Schätzungen sind 800 bis 1000 Mitglieder in mindestens 18 bis 20 sogenannten „localen“, also feste Stützpunkten, organisiert, besonders in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und NRW. In Dortmund-Kley gibt es – auf Anfrage – aus polizeilicher Sicht aktuell keine Hinweise auf Mafia-Aktivitäten.
Im Rahmen der „Operation Pollino“, ein länderübergreifendes Ermittlungsverfahren, wurden letztes Jahr allerdings 14 mutmaßliche Ndrangheta-Mafiosi in NRW festgenommen. Auch soll eine Fehde zwischen zwei Clans der Ndrangheta der Hintergrund der Mafiamorde von Duisburg gewesen sein, wo 2007 vor einer Pizzeria nachts sechs Menschen erschossen wurden.
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