Berlin. Gespickt mit Anspielungen und Zitaten auf literarische und filmische Vorbilder: Der neue „Tatort“: Die Ferien des Monsieur Murot.
Im weißen Leinenanzug, den Strohhut auf dem Kopf, radelt LKA-Ermittler Felix Murot ( Ulrich Tukur ) durch die sommerliche Landschaft als wäre er ein Double von Jacques Tati . Nicht nur der Titel dieses „Tatort“, auch schon diese kleine Eingangsszene ist eine Reminiszenz an den französischen Filmemacher.
Tati hat sich als schrullig-schüchterner Durchschnittsmensch „Hulot“ immer wieder durch die absurdesten Alltagssituationen manövriert – und beispielsweise Loriot oder „Mr. Beam“ zu ähnlich unvergesslichen Gags inspiriert. „Die Ferien des Monsieur Hulot“, auf die sich der „ Tatort : Die Ferien des Monsieur Murot“ bezieht, entstand 1953 und gilt als Meisterwerk.
Auch Murot macht Urlaub. Allerdings nicht in einem Badeort in der Bretagne, sondern im hessischen Taunus. Gedreht wurde rund um Königsstein, dem heilreichen Kurort mit waldreichen Hängen vor den Toren Frankfurts. Trotzdem wirken an diesem Ort Licht und Landschaft immer wieder très français – fast so authentisch wie auf dem bekannten Druck in Murots Pension, den „Badenden in Asnières“ (1884) von Georges Seurat.
Tatort: Ein bisschen wie aus dem 19. Jahrhundert gefallen
Ein wenig sieht dieser „Tatort“ sowieso aus, als wäre er aus der Zeit bzw. ins 19. Jahrhundert gefallen: In der friedlichen Sommerfrische gibt es erst einmal wenig zu tun für den LKA-Ermittler aus Wiesbaden , außer eine Postkarte an seine Kollegin Magda Wächter zu schreiben: „Die beiden schönsten Dinge sind die Heimat, aus der wir stammen, und die Heimat, nach der wir wandern“.
Der Aphorismus, der die Endlichkeit des Lebens romantisiert, stammt von Johann Heinrich Jung-Stilling , einem persönlichen Freund Goethes und bekannten Augenarzt, der als erster Operationen bei Star-Blindheit durchgeführt hat. Was Wunder, dass „richtig sehen“ oder wenigstens: „genau hingucken“ das Vergnügen an diesem „Tatort“ verdoppelt.
Denn mag die actionarme Krimi-Geschichte mit zwei Morden auf den ersten Blick etwas harmlos und banal daherkommen – „Die Ferien des Monsieur Murot“ ist gespickt mit Anspielungen und Zitaten auf literarische und filmische Vorbilder, die nur darauf warten, entdeckt und erkannt zu werden. Sowieso geht es dauernd um Doppelgänger.
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Ulrich Tukur: Murot schlüpft in die Rolle seines toten Doppelgängers
Übrigens, das für den Giftmord verwendete Gift „PSM 31“ ist erfunden. Der Name steht allgemein für Pflanzenschutzmittel (PSM) und ist eine Anspielung auf das inzwischen verbotene E-605. Das wurde in Krimis ebenso wie im wahren Leben gerne von giftenden Frauen verwendet, die ihre Partner unauffällig ermorden wollten.
„Das Doppelte Lottchen“ von Erich Kästner – unzählige Male verfilmt – kommt dagegen auch Walter Boenfeld sofort in den Sinn. Murots äußerlicher Zwilling ist unzufrieden mit seiner Ehe und mit seinem provinziellen Leben auch, weshalb er mit dem LKA-Ermittler tauschen möchte: „Wie wäre das, einmal ,Urlaub vom Ich‘ machen und probeweise in ein anderes Leben schlüpfen?“
Die Idee, die er nach der gemeinsam durchzechten Nacht auf eigene Faust umsetzen will, bekommt dem Gebrauchtwagenhändler nicht gut. Noch vor Sonnenaufgang liegt er tot auf der Landstraße. So sieht sich der eingefleischte Einzelgänger Murot seinerseits gezwungen, zur Ermittlungszwecken doch noch die Rolle seines Doppelgängers zu übernehmen – und lernt dabei am meisten über sich selbst.
Wie stark ein solcher Rollenwechsel die eigene Persönlichkeit verändern kann, hat beispielsweise schon Chaplins „Der große Diktator“ (1940) gezeigt. Oder zuletzt Oscar-Preisträger J. K. Simmons in der originellen Berlin-Serie „Counterpart“ (2017-19), die zum Doppelgänger-Motiv gleich ein ganzes Paralleluniversum präsentiert.
Für den Murot-„Tatort“ stand vor allem „William Wilson“ von Edgar Allen Poe Pate , über dessen Lektüre der LKA-Ermittler zur Beginn seines Urlaubs eingedöst ist. Poe, sozusagen der Stammvater aller Detektivgeschichten, berichtet darin von seinen Begegnungen mit einem Doppelgänger .
„Tatort“ mit kniffeligen Kamera-Einstellungen
Mindestens eine Szene bezieht sich direkt auf diese Erzählung: Vor dem Zubettgehen blickt Murot sein Alter Ego (aka Geist des verstorbenen Walter Boenfeld) aus dem Spiegel entgegen und redet ihm ins Gewissen: „Wo ermittelst du jetzt, in meinem Ehebett?“ Apropos: Eine Szene realistisch vor einem Spiegel zu drehen, gehört zu den kniffeligeren Kamera-Einstellungen.
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In diesem Fall wurden die Aufnahmen separat im VFX-Verfahren aufgenommen und dann in der Postproduktion zusammenmontiert. Meistens aber sieht man Ulrich Tukur beide Parts im klassischen Schnitt-Gegenschnitt spielen.
Das ist aufwändiger als es aussieht, selbst wenn der Anspielpartner – wie in diesem Falle Jochen Horst – perfekt mitspielt. Damit ein solches Gespräch im „shot-reverse-shot“ (SRS) überzeugend rüberkommt, müssen Kamera-Position und Bild-Anschlüsse nach jedem Schnitt passgenau übereinstimmen – was ständige Umbauten erfordert.