Essen. Der Medien-Experte Jo Groebel hat kein Mitleid mit den "One-Hit-Wonders" und wenig erfolgreichen Topmodels der Castingshows. "Wer ins Showbusiness will, muss wissen, auf was er sich einlässt", findet er. Castingopfer sind für ihn nur die peinlichen Kandidaten, die von allen verhöhnt werden.

Jo Groebel ist Experte für Medienpsychologie und leitet das Deutsche Digital-Institut in Berlin. Für DerWesten outet er sich als Castingshow-Zuschauer und bewertet das Risiko der Popsternchen und Topmodel-Anwärterinnen.

Seit Jahren bewerben sich bei jeder Staffel von „Popstars“, „Deutschland sucht den Superstar“ und „Germany´s Next Topmodel“ zehntausende Jugendliche auf die Castings. Tritt nicht langsam eine Art „Entzauberungseffekt“ ein, weil die Sieger vergangener Staffeln nicht wirklich erfolgreich sind?

Jo Groebel: Nein, warum auch? Die Castingshows beflügeln noch immer die Phantasie derjenigen, die unbedingt ins Showgeschäft wollen. Nur weil es bei einigen offensichtliche Karriereknicks gegeben hat, hält das niemanden ab, sich zu bewerben. Schließlich gibt es ja auch noch genügend Beispiele von Stars, die es geschafft haben – nehmen Sie Mark Medlock.

Dann nehmen Sie Alexander Klaws oder die „Preluders“ – wer kennt die heute schon noch? Gecastet, gewonnen und vergessen?

Groebel: Ja, offenbar. Aber das ist kein Spezifikum der Castingshows, sondern der Lauf der Dinge im Showbiz. Schließlich gibt es eine ganze Reihe von „One-Hit-Wonders“, die nach einem Supersong in der Versenkung verschwunden sind. Oder nehmen Sie einen Star-Fußballer, der auf einmal keine Tore mehr schießt – ist er ein Opfer, oder hat er eben Pech gehabt?

Also ist die Castingshow Ihrer Meinung nach noch immer ein erfolgversprechender Weg, um in die Welt der Stars zu gelangen?

Groebel: Es ist zumindest ein möglicher Weg. Die Teilnahme an einer Castingshow ist natürlich nicht gleich Erfolg. Aber Castingshow gleich Misserfolg stimmt auch nicht.

Sie halten die Mitglieder von „Overground“ oder die DSDS-Siegerin Elli Erl demnach nicht für Castingopfer?

Groebel: Nein. Das sind rational denkende Menschen, die sich bei einer Show beworben haben und die Konsequenzen dafür tragen müssen, oder auch dürfen. Castingopfer sind für mich geistig minderbemittelte und untalentierte Kandidaten, die in den Shows öffentlich bloßgestellt und verhöhnt werden, dabei aber ernsthafte Absichten hatten. Oder auch kleine Kinder, deren Eltern sie durch falschen Ehrgeiz zu etwas zwingen, zu dem sie noch nicht bereit sind.

Kann man als 16-jähriger Teilnehmer bei einer Castingshow vorab kalkulieren, wie es sich anfühlt, zunächst hochgejubelt und dann fallengelassen zu werden?

Groebel: Nein, wahrscheinlich nicht in dem Maße. Allerdings muss man wissen, worauf man sich einlässt, wenn man in diese Branche einsteigen will. Mein Mitleid hält sich da in Grenzen. Zudem kann von „fallenlassen“ oft keine Rede sein.

Um noch mal die „Preluders“ zu bemühen…

Groebel: …die mir nicht einmal mehr bekannt sind. Trotzdem: Wenn eine Band auf dem Markt nicht funktioniert, funktioniert sie eben nicht. In dieser Branche geht es nun mal um Geld und Einschaltquoten. Das ist bei gecasteten Bands nicht anders als bei anderen Gruppen. Und die Manager und Produzenten der Shows haben – nicht aus ethischen, sondern rein aus geschäftlichen Gründen – schon großes Interesse daran, eine Band zum Erfolg zu führen. Es wäre nahezu schwachsinnig, wenn sie eine Gruppe einfach so fallen ließen. Echte Talente werden ausgemolken, bis es nicht mehr geht.

Aber nicht nur die Talente werden vermarktet, auch die „Anti-Helden“ mit ihren peinlichen Auftritten vor der Jury werden in Endlos-Rückblicken immer wieder in die Shows gehievt. Verkommen die Castingshows zu Freakshows?

Groebel: Nicht komplett, das lässt schon die Dramaturgie der Sendungen gar nicht zu. Die Zuschauer brauchen ja auch eine Phase der Höhepunkte, in denen sie mit ihren Stars mitfiebern können. Die Darstellung der „Freaks“ ist allerdings zu einem Subgenre innerhalb der Castingshows geworden, das durchaus kritisch zu bewerten ist. Die öffentliche Verhöhnung dieser Menschen ist unethisch, man müsste sie vor sich selber schützen.

Dennoch sind die Vorrunden, in denen man noch einen Haufen peinlicher Kandidaten zu sehen bekommt, für viele Zuschauer ein Grund einzuschalten. Welche Mechanismen bescheren den Castingshows sonst noch diese Traumquoten?

Groebel: Castingshows, wie zum Beispiel „Germany´s Next Topmodel“, sind einfach handwerklich sehr gut gemacht. Das muss man zugeben, auch wenn man die Sendung nicht mag. Es handelt sich dabei keineswegs um plumpe Talentshows, wie es sie schon seit Jahrzehnten gibt, sondern um Reality-Soaps, in denen uns die Biografien der Kandidaten, ihre Beziehungen untereinander, ihre Ängste, Sorgen und Nöte nahe gebracht werden. Und das ist es, was uns interessiert und an die Sendung fesselt.

Muss man sich für dafür Drehbücher vorstellen, wie es sie für Seifenopern gibt, in der jeder Kandidat eine bestimmte Rolle spielen muss?

Groebel: Es ist natürlich wichtig, dass man bei jeder Staffel eine bunte Mischung an Charakteren hat: Man braucht die Zicke, die Ruhige, die Verrückte, die Verpeilte. Solche Eigenschaften müssen bei der Auswahl stets berücksichtigt werden, damit es in den Sendungen auch Stoff für Emotionen und Geschichten gibt. Eine komplett künstliche Rolle wird den Kandidaten aber nicht zugeschrieben. Die Eigenschaften müssen in den Personen angelegt sein. Dieses Verhalten wird dann sicherlich noch mal vom Regisseur verstärkt und durch die Auswahl des Materials im Schnitt zugespitzt.

Welche Rolle spielt dabei die Berichterstattung der anderen Medien über die Kandidaten?

Groebel: Eine sehr große. Das mediale Interesse entscheidet über den Erfolg des Kandidaten und der Show als Ganzes. Und dafür muss es eben auch Geschichten zu erzählen geben. Die zweite Staffel von „DSDS“ hatte zum Beispiel verhältnismäßig schlechte Quoten, weil die Kandidaten in den einschlägigen Boulevardmedien kaum eine Rolle gespielt haben.

Aber ist es nicht kritisch zu sehen, wenn die BILD-Zeitung die DSDS-Kandidatin Annemarie Eilfeld zum lüsternen Luder hochstilisiert?

Groebel: Das Showbiz ist Projektion. Was glauben Sie, wie viel von dem „Bad Boy“-Image der Stones real war? Auch Stars wie Marilyn Manson sind Kunstfiguren. Zudem müssen wir berücksichtigen, dass Jugendliche heutzutage in einer komplett anderen Medienwelt aufwachsen als die Generation davor. Was wir noch als Blamage in der Öffentlichkeit empfanden, ist für die heutige Jugend ganz normal.

Zum Abschluss noch die alles entscheidende Frage: Warum gucken wir die Castingshows eigentlich noch immer?

Groebel: Ganz klar, weil wir es herrlich finden, uns über de facto völlig belanglose Themen aufzuregen. Castingshows mit ihrer ganzen anhängigen Medienmaschinerie sind ein Gemeinschaftsereignis. Man kann darüber bei der Arbeit, in der Familie, in der Schule sprechen – die aktuellen Machenschaften von Bohlen und Co berühren die ganze Nation. Eine herrliche Ablenkung vom Ernst des Lebens!