Essen. Phoenix-Chef Michael Hirz macht sich für eine lebendigere Debattenkultur im Deutschen Bundestag stark. Er verwies im WAZ-Gespräch auf das Vorbild England, wo sich Rede und Gegenrede abwechseln. Hirz verspricht sich davon ein größeres Interesse an Debatten im Fernsehen.
„Wir versuchen, die Blutleere mit Fleisch zu füllen.“ Keine Sorge, das sagt nicht der Produzent einer neuen Realityshow aus dem Schlachthof. Das erklärt einer, der sich seiner „gesellschaftspolitischen Verantwortung“ bewusst ist. Seit Februar 2008 ist Michael Hirz Programmgeschäftsführer beim öffentlich-rechtlichen Spartenkanal Phoenix, der im letzten Jahr 385 Stunden live die Debatten aus dem Deutschen Bundestag übertragen hat.
Man kann die Leute nicht zwingen
„Das entspricht einer Abdeckung von 80 Prozent der Redebeiträge“, sagt Hirz. Die restlichen 20 Prozent würden nachgeliefert. „Wer interessiert ist, bekommt alles.“
Vor zwölf Jahren wurde Phoenix von ARD und ZDF gegründet. Der kleine Sender mit einem Gesamtetat von 35 Millionen Euro für ein Vollprogramm - 24 Stunden an sieben Tagen – wurde mit den gleichen technischen Reichweiten ausgestattet wie die öffentlich-rechtlichen Flakschiffe. Von daher versteht Hirz die Kritik von Bundestagspräsident Norbert Lammert aus der letzten Woche nicht. Lammert hatte sich beklagt, dass die konstituierende Sitzung des Bundestages nicht bei ARD und ZDF übertragen wurde. „Wir leben in einer freien Gesellschaft. Wir können die Leute nicht zwingen, ein bestimmtes Programm zu gucken“, meint Hirz.
Phoenix hat sich in den letzten Jahren eine zwar kleine, aber treue Fangemeinde erarbeitet. „Wir sind mit 0,1 Prozent Marktanteil gestartet“, berichtet Hirz. Heute läge man im Durchschnitt bei einem Prozent. Tendenz steigend. Bei einer permanent wachsenden Anzahl von Sendern mache das Mut.
Verhältnismäßig junges Publikum
Die konstituierende Sitzung am 27. Oktober verfolgten bei Phoenix in Spitzenzeiten 3,1 Prozent der Zuschauer. „Wenn es spannend ist im Parlament, bei Haushaltsdebatten zum Beispiel, kommen die Zuschauer.“ Die Vereidigung von Angela Merkel als erste Frau an der Spitze des Staates wollten 2005 sogar fünf Prozent sehen. „Das war ein absolutes Highlight“, erinnert sich Hirz.
Ansonsten ist man am Sendersitz in Bonn stolz darauf, dass man stärker ist als der Konkurrent n-tv und fast gleich gezogen hat mit N 24. Und: Dass man im Verhältnis ein junges Publikum anspricht. Das Durchschnittalter des Phoenix-Einschalters liege bei 53 Jahren. Zum Vergleich: Das ZDF spreche eher die 60-Jährigen an, die ARD liege kurz darunter und selbst RTL sei inzwischen bei 49 Jahren angekommen.
Allerdings hebt der Debatten-Interessierte die Alterspirale. „Das sind unsere Hardcore-Fans“, gesteht Hirz. Bei Übertragungen aus dem Bundestag liege der Altersdurchschnitt deutlich jenseits der 60.
Parlament nimmt sich selbst nicht ernst
„Die Generation ist wahrscheinlich stärker durch Politik geprägt worden“ sagt Hirz. Und kritisiert gleichzeitig, dass Bundestagsreden heute eher blutleer herüberkommen. „Der Bundestag müsste die Dramaturgie besser gestalten“, ist er überzeugt. Damit meint er keinen Ausflug in eine weitere Show. Er denkt eher in Richtung England, wo Rede und Gegenrede die Debatten beleben. Die Forderung Karl-Theodor zu Guttenbergs unterstützt Hirz. Der neue Verteidigungsminister hatte unlängst angeregt, in Zukunft vor dem Podium frei zu sprechen. „Das würde zu einer Verlebendigung beitragen“, glaubt Hirz. Denn obwohl sich das Phoenix-Team bemüht, durch erklärende Debatten, einordnende Reportagen und ergänzende Dokumentationen Politik nachhaltig zu erklären und ein größeres Interesse zu wecken, wünscht er sich auch von den Politikern eine gewisse Würdigung der eigenen Arbeit. Ein unkommentiertes Parlaments-TV, wie Lammert es erst kürzlich wieder forderte, könne so etwas nicht leisten. Das zeige das Beispiel Frankreich. Dort plätschere das Senat-TV unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor sich hin.
Die Abgeordneten selbst würden einen bedauerlichen Anteil an der zum Teil geringen Zuschauer-Resonanz tragen. „Wenn von den 600 Sitzen im Bundestag bei Debatten nur die erste Reihe gefüllt ist, muss man zu dem Ergebnis kommen: Da nimmt ein Parlament sich selbst nicht ernst.“