Berlin. Günter Wallraff und seine Kollegin Pia Osterhaus decken Missstände in deutschen Krankenhäusern auf. Auch den Zuschauer schmerzt das.
Stellen Sie sich vor, sie liegen in einem Rettungswagen, der sie nach einem Unfall in die Notaufnahme bringt. Neben Ihnen wird ein zweiter Patient eingeliefert, doch in der Klinik ist nur so viel Personal, dass zwei Notfallpatienten schon einer zu viel sind. Dass solche Szenen keine Alpträume sind, sondern in einem deutschen Krankenhaus vorkommen, zeigt die aktuelle Reportage vom „Team Wallraff“ mit dem Titel „Profit statt Gesundheit“.
Die Journalistin Pia Osterhaus hat sich für die RTL-Sendung mehrere Monate mit versteckter Kamera in drei Kliniken in Berlin, München und Wiesbaden aufgehalten. Sie arbeitete als Pflegepraktikantin für Klinik-Verbünde, die zum Beispiel auch in Nordrhein-Westfalen stark vertreten sind. Die Szenen, die sie gedreht hat, sind zum Teil schockierend.
In den städtischen Kliniken München überrascht vor allem, wie die vermeintliche Praktikantin angelernt wird. Ihre erste Kontaktperson ist eine Auszubildende im ersten Lehrjahr. Zwar erhält sie einen Einblick in die Pflege, doch etwas Positives lernt sie nicht. Doch immerhin nimmt sie die Auszubildende mit auf ihrer kurzen Tour durch die Zimmer, ein anderer Pfleger hat dazu offensichtlich keine Zeit. Das ist verständlich, denn laut Aussagen des Teams Wallraff haben die zwei Schwestern in der Münchener Klinik in Harlaching 29 Patienten in einer Stunde zu versorgen – ohne Praktikanten und andere Aushilfen geht das kaum. Im Schnitt kommen in Deutschland auf eine Pflegekraft zwar immerhin zehn Patienten, im europäischen Vergleich ist dies jedoch immer noch nicht gut.
Bilder sind deutlicher als Zahlen
Für die „Horst Schmidt Kliniken“ in Wiesbaden weist das "Team Wallraff" keine detaillierten Zahlen aus. Der Missstand ist hier aber spürbar – und zwar so stark, dass es beim Zusehen aufregt und fast schmerzt. Patienten im Bereich der Notaufnahme liegen dort auf den Gängen, Pfleger stehen unter so einem Stress, dass einer von ihnen selbst im Dienst zum Patienten wird. Der Mann muss sich mit Kreislaufbeschwerden behandeln lassen. Doch er geht nicht nach Hause, er muss durchalten, wie auch die Patienten, die immer wieder vertröstet werden.
Auch das Material wird in Wiesbaden offensichtlich mal vergessen. So lange zumindest, dass es dreckig werden kann. Das Team Wallraff zeigt, wie schmutzige Betten auf den öffentlichen Fluren stehen oder Liegen nicht desinfiziert werden. Diese Zustände wie auch Sparmaßnahmen bei den einfachen Dingen wie dünnen Handschuhen, hätten, so die Reportage vor allem ein Ziel: Gewinnmaximierung. Diese Gewinnsteigerung scheinen die Helios-Kliniken besonders gut zu beherrschen. Das Unternehmen, das einen großen Anteil an den „Horst Schmidt Kliniken“ in Wiesbaden hält, hat im Jahr 2014 über fünf Milliarden Euro Umsatz gemacht und weist für das gleiche Jahr 500 Millionen Euro Gewinn aus.
„Sterbehilfe ist das eigentlich“
Kritik an den Helios-Kliniken äußern Mediziner immer wieder. So auch zwei ehemalige Chefärzte, die in Duisburg Helios im Jahr 2013 verließen und in ein anderes Krankenhaus wechselten. „Sterbehilfe ist das eigentlich, was wir auf den Stationen machen“, sagt eine der Helios-Mitarbeiterinnen aus Wiesbaden anonym bei RTL.
HygieneIn Berlin-Buch betreibt Helios eine seiner Vorzeige-Kliniken. Nicht nur achitektonisch, auch im Inneren scheint einiges besser zu laufen als in den zuvor gezeigten Krankenhäusern. Die Journalistin Pia Osterhaus erhält zum ersten Mal eine Hygiene-Einführung als Praktikantin. Doch die Einführung hilft nicht, wenn zwar Instrumente und Zimmer gereinigt werden, aber ein mit MRSA infizierter Patient ohne Mundschutz oder Handschuhe frei durch die Klinik läuft. Hier könnte er andere Patienten anstecken. Bei diesen Zuständen kann Hygiene-Experte Walter Popp nur den Kopf schütteln. Konkrete Antworten von den drei Krankenhausbetreibern gibt es laut Günter Wallraff nicht auf die Anfragen der Journalisten.