Berlin. Wüste Spekulationen: Beim ARD-Talk von Günther Jauch diskutierten die Gäste den VW-Skandal mit viel Pathos. Dabei war die Gästeliste nur zweite Wahl.
Selten hat der Moderator einer Talk-Show seinen Gästen deutlicher gemacht, dass sie nur zweite Wahl sind. So zählte Sonntagabend-Talker Günther Jauch gestern erst mal auf, wer alles nicht mit ihm über den Betrugsskandal bei VW diskutieren wollte. Der Konzern selbst etwa sehe sich nicht in der Lage, jemanden aus der alten oder der neuen Führungsriege in die Sendung zu schicken.
Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobil-Industrie, habe als erster abgesagt. Und aus dem Verkehrsministerium habe niemand kommen wollen, genauso wenig wie Stephan Weil, niedersächsischer Ministerpräsident, der im Volkswagen-Aufsichtsrat sitzt. „Sehr bemerkenswert“ fand Jauch dieses „Massenverstecken von Politik und Wirtschaft, wenn's dann mal für alle etwas unangenehmer wird.“
Nicht nur bei VW ein Problem
Reichlich pathetisch startete dafür Anja Kohl, die Börsenexpertin der ARD, ins Gespräch: „Dass die Banken zocken, dass sie manipulieren, hat man gewusst. Dass eine Industrie-Ikone wie VW das auch tut – woran sollen wir noch glauben?“
Auch interessant
Nicht an die Angaben der Autoindustrie, so viel ist Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter schon länger klar: „Wer sich die Tests angeschaut hat, der wusste seit Jahren, dass da etwas nicht stimmt, deshalb bohren wir seit Jahren.“ Und das betreffe nicht nur VW: „Mich würde es überhaupt nicht überraschen, wenn bei ganz vielen Herstellern die Autos auf der Straße anders reagieren würden als am Teststand.“ Sieht Axel Friedrich, der die Einrichtung, die den Betrug aufgedeckt hat, mitgegründet hat, genauso. Und lieferte auch eine Erklärung für solches Verhalten der Autobauer: Es entstehe aus Zeit- und Kostendruck; das sei kein Problem nur bei VW, nur bei deutschen oder nur bei europäischen Herstellern.
Unternehmenskultur: "Nordkorea ohne Arbeitslager"
Wie konnte es passieren, dass gerade die USA, die nicht für direkt für Umweltfreundlichkeit bekannt sind, ein deutsches Unternehmen „am Schlafittchen“ haben?, fragte Jauch in die Runde. Möglicherweise, um diesen deutschen Konzern wirtschaftlich zu schwächen, deutete Kohl an – was Umwelt-Experte Axel Friedrich gleich abtun wollte, die Standards gälten schließlich für die Autos aller Hersteller. Aber kein anderer Autobauer setze so viele Diesel-Fahrzeuge in den USA ab, entgegnete Kohl, und die Welt habe nun mal ein „Riesen-Wachstumsproblem“: „Dann führen wir vielleicht einen Krieg über die Wirtschaft mit anderen Mitteln, und dann ist die Frage, ob das vielleicht ein Mosaiksteinchen dieser Strategie ist.“ Verschwörungstheorien, meinte nicht nur Anton Hofreiter.
Als „Nordkorea ohne Arbeitslager“ hat Wirtschaftsjournalist Dietmar Hawranek („Der Spiegel“) die Unternehmenskultur bei Volkswagen mal charakterisiert. Es gebe kaum einen anderen deutschen Konzern, der so straff von oben geführt werde, betonte Hawranek, und versuchte so zu erklären, wie es möglicherweise zu diesem Betrug kommen konnte: „Wenn dann vom Vorstand verlangt wird: Dieses Auto muss diese Fahrleistung haben, aber auch die Umweltstandards einhalten – dann wird eben getrickst.“
Welche Verantwortung tragen die Auto-Käufer an der Entwicklung?
„Der VW-Betrug – steht „Made in Germany“ auf dem Spiel?“ war die Sendung betitelt. Während der Grüne Anton Hofreiter das Image deutscher Wertarbeit definitv „angekratzt“ sah, rief FDP-Politiker Wolfgang Kubicki zur Räson: Hofreiter solle doch bitte nicht die ganze deutsche Auto-Wirtschaft kleinreden. VW-Kenner Hawranek stellte noch die Frage danach, welche Verantwortung eigentlich die Auto-Käufer an der Entwicklung trügen: „Wenn man sich anschaut, wie sich die Zahl der verkauften Geländewagen vervielfacht hat, dann müsste man ja denken, dass wir ein Volk von Förstern geworden sind, die nur noch über Waldwege fahren.“
So richtig in Schwung kam die Runde trotz Hofreiterscher Polemik und Kohls Verschwörungstheorien nicht. Jauchs Fragen boten wenig Konfliktpotenzial, zu einig waren sich Gäste bei „Ist es glaubhaft, dass Winterkorn nichts von dem Betrug wusste?“ („nein“) oder „Ist die Lage für den Konzern existenzbedrohend?“ („ja“). Aber darauf, dass es nicht sehr aufregend werden würde, hatte Jauch sein Publikum mit der Beschreibung der Schwierigkeiten bei der Gäste-Akquise ja schon zu Beginn der Sendung eingestimmt.