Hamburg. Flüchtlinge schützen und Hass-Kommentare im Netz bloßstellen: Das fordert NDR-Journalistin Anja Reschke in den “Tagesthemen“. Sie befeuert damit eine kontroverse Debatte.
"Ich freue mich schon jetzt auf die Kommentare zu diesem Kommentar." Mit diesem Satz beendet Anja Reschke ihre Abrechnung in den ARD-"Tagesthemen" - und der Aufruhr im Internet lässt nicht lange auf sich warten. Es sind die Flüchtlings-Hetze im Allgemeinen und offene Online-Aufrufe zur Gewalt im Besonderen, die die Journalistin anprangert. Die 42-Jährige fordert: "Dagegen halten, Mund aufmachen. Haltung zeigen, öffentlich an den Pranger stellen."
Ihr flammender Appell, ausgestrahlt am Mittwochabend, verbreitet sich rasant. Binnen Stunden wird der Beitrag millionenfach im Netz aufgerufen. Reschke wird zum Gesprächsthema, ihr Name ein Twitter-Trend. Sie hat einen Nerv getroffen, ihre Meinung polarisiert.
Manche Reaktionen sind unerträglich
In den Reaktionen auf ihren Kommentar wird schnell klar, was Reschke gemeint hat. Manche sind unerträglich: "Wenn diese Asylbewerber (...) über deutsche Frauen und Kinder herfallen, dann (...) macht ihr euch mitschuldig am nächsten Bürgerkrieg hier in unserem Land", schreibt einer wütend bei Facebook unter den Aufruf.
Zwar erhält die Journalistin im Netz auch viel Zuspruch. Und auch in den Medien wird der Mut der Moderatorin gefeiert, Reschke "spricht uns aus der Seele", heißt es etwa in einem Artikel.
Der Kommentar, der bei Facebook die meisten zustimmenden Klicks ("Likes") bekommt, hält ihr aber vor: "Ich denke nicht, dass das, wie ja immer berichtet wird, alles Nazis sind und das auch nicht immer etwas mit Rechtsextremismus zu tun hat."
"Hass, der sich im Netz äußert, ist gesellschaftlich tief verwurzelt"
Reschkes Kritik beschränkt sich nicht nur auf die Schelte der Fremdenfeinde. Sie argumentiert, dass der Hass neuerdings nicht mehr hinter Fantasienamen versteckt wird. "Im Gegenteil, auf Sätze wie 'Dreckspack, soll im Meer ersaufen' bekommen sie ja auch noch begeisterten Zuspruch und eine Menge Likes."
Die Einschätzung eines Internet-Trends hin zum offenen Hass, den Reschke ausgemacht hat, teilt Juliane Leopold hingegen nicht. Die Chefredakteurin des Online-Magazins "Buzzfeed Deutschland" und langjährige Netzkennerin beobachtet die Kontroverse kritisch. "Was Reschke sagt, ist wichtig. Aber es reicht nicht, auf Facebook gegen Ausländerfeindlichkeit zu sein", sagt Leopold der Deutschen Presse-Agentur. "Ein Shitstorm gegen Nazis im Netz wird keinen Rassisten bekehren."
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Leopold ist überzeugt, dass der Hass, der sich im Netz äußert, gesellschaftlich tief verwurzelt ist: "Online-Phänomene gibt es nicht, es gibt nur die echte Welt. Das Internet macht nichts mit Menschen, was nicht schon vorher in ihnen war." Ihre Prognose ist düster: "Unser Problem ist, dass die Mitte der Gesellschaft sich nach rechts bewegt."
Netz-Kommentare nicht repräsentativ
Zugleich sei es falsch, die Netz-Kommentare als repräsentativ anzusehen, sagt die "Buzzfeed"-Chefin. Eine Faustregel besage: 90 Prozent der Online-Leser bleiben passiv, 9 Prozent interagieren, indem sie den "Gefällt mir"-Knopf drücken oder den Beitrag weiterleiten. Nur ein Prozent der Leser kommentiert - und von denen vor allem jene, die sich unverstanden fühlen.
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Diese Erfahrung machte vor kurzem auch Schauspieler Til Schweiger. Er wurde auf seiner Facebook-Seite angefeindet, als er sich für eine Flüchtlingsinitiative einsetzte. Der "Tatort"-Star ließ sich davon nicht beeindrucken. Er forderte das "empathielose Pack" auf, sich von seiner Facebook-Seite zu "verpissen", und kündigte wenig später an, ein Flüchtlingsheim bauen zu wollen.
Auch für Reschke, Chefin des ARD-Politikmagazins "Panorama", dürfte klar gewesen sein, welche Wellen ihr Kommentar schlägt. Schon im Januar hatte sie anlässlich des Jahrestages zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz klar Stellung bezogen und davor gewarnt, einen Schlussstrich unter der deutschen Verantwortung zu ziehen. Ihre deutlichen Worte polarisierten schon damals. (dpa)