Berlin.. Für die Neuverfilmung des Roman-Klassikers “Nackt unter Wölfen“ ist Benjamin Benedict verantwortlich. Der TV-Produzent greift auf neue historische Erkenntnisse zurück.
„Nackt unter Wölfen“ ist ein Roman-Klassiker in der Auseinandersetzung mit Nazi-Greueln. Frank Beyers Verfilmung war zu DDR-Zeiten auch ein kommunistisches Helden-Epos. Jetzt hat die Produktionsfirma Ufa Fiction für den Stoff für die ARD neu verfilmt. Verantwortlich war der aus Bochum stammende Produzent Benjamin Benedict. Im Gespräch mit Jürgen Overkott erklärt er, welche Absichten der Film hat.
Bruno Apitz hat mit „Nackt unter Wölfen“ einen Roman geschrieben. Was ist Fakt, was ist Fiktion?
Benjamin Benedict: Der Autor Bruno Apitz war selbst KZ-Häftling. Er hat einen Roman geschrieben, aber darin seine eigene Geschichte verarbeitet. Das war 1958, 13 Jahre nach seiner Befreiung aus dem KZ Buchenwald.
„Nackt unter Wölfen“ ist ein Klassiker zum Thema NS-Terror. War das Buch in Ihrer Schulzeit Unterrichtsthema?
Benjamin Benedict: In Ost und West wurde das Buch völlig unterschiedlich aufgenommen. In der DDR war das Buch Schullektüre. Außerdem kannte dort jeder den Film von 1963. Zur Jugendweihe gehörte ein obligatorischer Besuch in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Und im Umkehrschluss war das Buch im Westen, in der BRD, kaum bekannt und deshalb auch keine Schulbuch-Lektüre. Obwohl ich durch mein Literaturstudium in Bochum und im Ausland germanistisch vorgebildet bin, kannte ich das Buch nicht. Das hat einfach mit völlig unterschiedlichen Erinnerungskulturen in den beiden deutschen Staaten zu tun.
Und das führte in der DDR dazu, dass eben schon früh eine Verfilmung des Romans gab.
Benjamin Benedict: Während im Westen nur mühsam eine Debatte um die Ausschwitz-Verbrechen aufkam, die von dem damaligen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, über den wir auch einen Film machen, vorangetrieben wurde, gab es in der DDR über dieses Thema bereits eine breite Debatte. Fritz Bauer jedoch musste als Kämpfer für Gerechtigkeit gegen extreme Widerstände antreten.
Wann haben Sie Abitur gemacht?
Benjamin Benedict: 1992.
In dieser Zeit wurde doch auch schon im Westen das bedrückende Nazi-Erbe aufgearbeitet.
Benjamin Benedict: Stimmt. Und dennoch bleibt es ein komplexes Thema. In den 50er- und 60er-Jahren waren die Unterschiede im Umgang mit der Nazi-Geschichte in Ost und West viel ausgeprägter. Nach den Auschwitz-Prozessen entwickelten sich auch in der BRD ganz andere Schwerpunkte in der Debatte, erst recht mit der 68er Bewegung wurde die Schuldfrage neu diskutiert. Das hatte natürlich auch Konsequenzen für den Schulunterricht. In den 80er-Jahren gab es daher natürlich auch im Westen eine klare Auseinandersetzung mit der Täter- und der Schuldfrage.
Was hat Sie selbst an dem Stoff berührt?
Benjamin Benedict: Es ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Kräften. Die Anregung, den Stoff wieder zu verfilmen, kam mit der Neuveröffentlichung des Romans im Austausch mit Jana Brandt, der wunderbaren Fernsehfilmchefin des MDR. Mit ihr verbindet uns (die UFA Fiction), eine enge Zusammenarbeit, wir haben den „Turm“ gemacht – und die „Bornholmer Straße“. Dann haben wir den Faden weitergesponnen mit dem Drehbuchautor Stefan Kolditz und später dem Regisseur Philipp Kadelbach, mit denen wir zusammen „Unsere Mütter, unsere Väter“ gemacht haben. Wir wollten mit diesen beiden herausragenden Filmemachern weitermachen und in dieser Konstellation mit anderer Perspektive einen erzählerischen Beitrag zu unserer Erinnerungskultur leisten. Auch im Bewusstsein der besonderen Verantwortung des Bildungsauftrags, welche das Fernsehen angesichts seiner Breitenwirkung hat. Stefan Kolditz, unser großartiger Drehbuchautor, ist übrigens in der DDR aufgewachsen und wir haben viel über die unterschiedlichen Erinnerungskulturen in Ost und West gesprochen.
Dennoch werfe ich noch einmal die Frage auf: Warum wird der Roman noch einmal verfilmt?
Benjamin Benedict: Wir sprechen von einem Film „nach Motiven des Romans“. Im Roman haben wir einen ganz besonderen erzählerischen Kern gefunden. Uns hat der Kampf der Häftlinge um das Leben eines dreijährigen Jungen berührt. In dieser Erzählung offenbart sich im Guten wie im Schlechten, wozu Menschen fähig sind. Es werden damit existenzielle Fragen des Menschseins aufgeworfen. Wie weit gehe ich um einen anderen Menschen zu helfen? Wie sehr nehme ich eine persönliche Gefährdung in Kauf? Mit welchem Einsatz stelle ich mich der Unmenschlichkeit entgegen? Folge ich einer Ideologie oder meiner inneren Wahrheit? Ein anderer Punkt ist die Darstellung des KZ, hier haben wir einen ganz anderen Weg gewählt als der Film vor 50 Jahren, wie haben bewusst die Grenzen des Darstellbaren ausgelotet, in der Härte und Differenzierung.
Wie sehr sind neuere Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft in die Darstellung des Geschehens eingeflossen?
Benjamin Benedict: Seit der Veröffentlichung des Romans hat es viele neue historische Forschungen gegeben, mit denen wir uns genau auseinandergesetzt haben. Dies betrifft zB. den Mythos der Selbstbefreiung der Häftlinge. Dem ist nach neueren Erkenntnissen ausdrücklich zu widersprechen. Deshalb unterscheidet sich unser Film an diesem Punkt deutlich von dem Roman und der ersten Verfilmung.
Sind Sie selbst auf historische Spurensuche gegangen?
Benjamin Benedict: Auf vielfältige Weise, entscheidend waren dabei die vielen Besuche in der Gedenkstätte Buchenwald. Es gab einen Moment, wie wir mit Stefan Kolditz und der Dramaturgin Carolin Haasis im Zug nach Buchenwald gefahren sind. An diesem Tag wurde der letzte Teil von „Unsere Mütter, unsere Väter“ ausgestrahlt. Wir saßen im Speisewagen und hörten, dass an jedem Tisch über unseren Film gesprochen wurde. Das war für uns eine prägende Erfahrung. Uns wurde bewusst, dass man durch das Fernsehen viele Menschen intensiv erreichen kann. Und bei „Nackt unter Wölfen“ haben wir die Chance und die Verantwortung, an die vielen Opfer, an die vielen Menschen zu erinnern, die im KZ getötet wurden. Uns war es daher wichtig mit Überlebenden aus dem Lager zu sprechen.
Haben Sie einen gefunden?
Benjamin Benedict: Wir haben mit mehreren gesprochen, sehr eindrücklich war das Gespräch mit Rolf Kralovitz. Gemeinsam mit Buch, Regie und dem Hauptdarsteller Florian Stetter sind wir nach Köln gefahren, um den 90-jährigen Herrn zu besuchen und haben einen ganzen Tag lang mit ihm gesprochen. Das Gespräch war entscheidend für das Ende des Films. Dort geht es darum, wie die Häftlinge ihre Befreiung erleben. Wir zeigen in diesen Momenten, dass auch nach der Befreiung die Überlebenden zeit ihres Lebens Gezeichnete bleiben werden, eine tragische Erkenntnis. Das findet sich so nicht in dem Roman, sondern das hat etwas mit unserer intensiven Recherche zu tun.
- ARD, Mittwoch, 1. April, 20.15 Uhr