Berlin. Viermal nominiert, vier der Musikpreise mit nach Hause genommen: Schlagerpopsängerin Helene Fischer gewinnt gefühlt sogar die Kategorien, in denen sie nicht nominiert war. Dass keine große Partylaune aufkommt, liegt natürlich vor allem an dem Flugzeugunglück in Frankreich. Aber eben nicht nur.
Ein abgedunkelter Saal, eine kleine, feine Violinenmelodie, 150 brennende Kerzen – eine für jedes der Opfer des Flugzeugunglücks in Südfrankreich. „Unsere Gedanken sind heute bei den Opfern und ihren Angehörigen“, sagt Barbara Schöneberger, die durch den Musikpreis-Abend führt. Alle Zuschauer stehen auf für eine Gedenkminute – es ist ein ruhiger, besonnener Moment bei der Verleihung des Echo 2015.
Der Nominierte und später auch ausgezeichnete Herbert Grönemeyer („Rock/Pop national“) erklärt, den Echo in der Hand, „an einem Tag wie diesem“ freue er sich „etwas gedämpft“. Und als der verstorbenen Musiker des vergangenen gedacht wird – Udo Jürgens bekommt direkt nach der Gedenkminute eine stimmungsvolle Version seines „Ich weiß, was ich will“ von mehreren Künstlern zum Andenken –, da sind auch zwei Opernsänger dabei, die am Dienstag in der Unglücksmaschine saßen.
Fernseh-Satire abgesagt - Fahnen vor der Halle wehen auf Halbmast
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„4U9525 – In stiller Anteilnahme“ steht auf schwarzem Hintergrund unter dem Logo von Germanwings, die Lufthansa-Tochter und Betreiberin des abgestürzten Flugzeugs ist einer der Echo-Sponsoren. Vor der Messehalle am Berliner Funkturm, in dem die großen Player der deutschen Musikszene sich an diesem Abend feiern, wehen die Fahnen auf halbmast. Die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten ARD und ZDF haben für den Donnerstag und Freitag die Ausstrahlung ihrer Satire-Formate abgesagt
Es kann im Grunde nichts normal sein an einem Tag, an dem bekannt wurde, dass offenbar ein Co-Pilot ein Personenflugzeug absichtlich gegen einen Berg geflogen hat. Bei der Verleihung selbst geht allerdings trotzdem alles bald seinen gewohnten Gang und über in den üblichen von sich selbst gerührten Tonfall der Branche. Moderatorin Schöneberger spuckt im Sekundentakt halbironische Kommentare aus – manche davon funktionieren, manche weniger. Und am Ende gewinnt Helene Fischer gefühlt sogar die Kategorien, in denen sie nicht nominiert war.
Die flachbäuchige Schlagerpopsängerin steht gleich auf vier Nominierten-Listen, deshalb wird sie vorsorglich in diesem Jahr als Moderatorin durch die altbewährte Schöneberger ersetzt. „Herzlich willkommen zu den Helene-Fischer-Festspielen“, sagt die dann auch prophetisch. Natürlich wäre es kostengünstig gewesen, Fischer moderieren und sich selbst die Preise übergeben zu lassen, sagt sie, „aber das haben wir ja letztes Jahr schon gemacht.“
Helene Fischer hört "Atemlos" auch nicht mehr
Das hinderte die Echo-Veranstalter allerdings nicht daran, Fischer mit ihrem Album „Farbenspiel“ noch einmal in die Arena zu schicken – eine Platte, die im Herbst 2013 erschienen ist und im vergangenen Jahr schon in der Kategorie „Bestes Album“ den Echo gewann.
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Sie gewinnt auch in diesem Jahr, stöckelt im eleganten schwarzen Hosenanzug mit Hosenschlag auf die Bühne und entschuldigt sich beinahe: Zwei Jahre hintereinander, „das ist für mich der absolute Wahnsinn! Ich konnte euch nicht zwingen, die Alben zu kaufen, deshalb freue ich mich ganz besonders.“ Später, beim Preis für das beste Lied, wird daraus ein: „Ich weiß, dass ihr den Song nicht mehr hören könnt. Ich höre ihn auch selbst nicht. Aber ich singe ihn noch gerne!“ Bei ihrer vierten Ansprache nach dem vierten Echo weiß sie schon nicht mehr so recht, was sie überhaupt noch sagen soll – und verhaspelt sich sogar ein bisschen.
Ihr Kollege Kollegah, der den „Hiphop Urban“-Echo abräumt, erklärt auf der Bühne: „Ich bin überrascht: Ich hätte eigentlich gedacht, den nimmt Helene Fischer auch noch mit!" Und Schöneberger hat für den fortgeschrittenen Abend ein Liedchen vorbereitet, das endet mit: „...und täglich grüßt das Murmeltier: Helene holt sich Echo vier.“
Der Bausparvertrag der deutsch-konservativen Musikszene
Es ist nicht Helene Fischers schuld, dass sie wie geölt von Erfolg zu Erfolg flutscht. Dass sie sich so makellos und dabei so fremd anfühlt wie ein Einhorn-Mensch-Wesen – oder, wie Til Schweiger sagt, als er ihr ihren zweiten-von-vier Echos überreicht („Schlageralbum“): „Sie ist so...genuine friendly...und so...nice!“ Was im Grunde heißt: Sie ist nett. Wer meckert da jetzt, weil er schon wieder einen Ohrwurm hat von „Atemlos durch die Nacht“? Und dass es bei dieser Verleihung etwa so spannend zugeht wie auf Platz eins in der Fußball-Bundesliga? Das hat übrigens nichts mit einer taubstummen Jury zu tun: Die meisten der Preise richten sich zumindest in erster Linie nach den Plattenverkäufen. Und Helene Fischer ist nun einmal der Bausparvertrag der deutsch-konservativen Musikszene.
Auch wenn es sich vorwiegend anfühlt, als würde die gesamte Branche tatenlos dem Helene-Imperium beim Wachsen zusehen: Ein paar fischerlose Momente fürs gedankliche Fotoalbum gibt es dann allerdings doch an diesem Abend.
Udo Jürgens wird in die Echo-Hall-of-Fame aufgenommen
Beim Echo für den „Newcomer des Jahres international“ siegt die niederländische Band The Common Linnets – und Sängerin Ilse DeLange kommt aus dem Kichern und Strahlen nicht mehr heraus. „Ich versuche es auf meines bestes Deutsch“, sagt sie. „Das fühlt sich richtig an wie ein großes Willkommen vom deutsches Publikum.“
Deichkind performen mit riesiger Lichtshow ihren neuen Song „Denken Sie groß“ und tragen dabei weiße Jogginganzüge mit dem schwarzen Aufdruck „Refugees Welcome“.
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Der „volkstümliche Musik“-Echoträger Andreas Gabalier stellt auf der Showbühne zum ersten Mal den mitteltrashigen Song „Mountain Man" vor – und steht dafür mit einem riesigen Bettlaken umwickelt auf einer Art großem Klappstuhl. An dessen Fuß drehen sich Tänzerinnen in Dirndl und mit Ballettschläppchen. Ein Saxophonist spielt „Ich war noch niemals in New York“ und Udo Jürgens wird in die Echo-Hall-of-Fame aufgenommen.
Das Echo-Team umschifft das Thema „Beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest hat Sieger Andreas Kümmert überraschend seine Teilnahme live abgesagt“ recht gekonnt – und zeigt einen Rückblick mit Sieger-Nachrückerin Ann Sophie im Fokus. Schöneberger: „So wie die das jetzt zusammengeschnitten haben, sieht das nach einem richtig schönen Abend aus.“
„Bitte nicht über Helenes Echos stolpern"
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Udo Lindenberg gewinnt in der Kategorie „Soziales Engagement“ und bekommt eine emotionale Laudatio von Detlef Buck. Nana Mouskouri bekommt den Echo für ihr Lebenswerk und dafür einen Kuss von Lindenberg, standing ovations und eine Videobotschaft von Quincy Jones, die zu etwa 80 Prozent aus „I love you“ besteht.
Und am Ende, weil’s so schön ist, ein letzter HelFi-Witz von Barbara Schöneberger: „Bitte nicht über Helenes Echos stolpern. Die versperren hier vorne weitestgehend den Gang.“
Helene Fischer feiert ihren 30.
Der Echo 2014
Das sind die Preisträger des Echo 2015
Die deutsche Musikindustrie hat am Donnerstagabend in Berlin die Echo-Preise verliehen. Eine Übersicht:
- Album des Jahres: "Farbenspiel" (Helene Fischer)
- Künstler Rock/Pop National: Herbert Grönemeyer ("Dauernd Jetzt")
- Künstler Rock/Pop International: Ed Sheeran ("X")
- Künstlerin Rock/Pop National: Oonagh ("Oonagh")
- Künstlerin Rock/Pop International: Zaz ("Paris")
- Band Rock/Pop National: Revolverheld ("Immer in Bewegung")
- Band Rock/Pop International: Pink Floyd ("The Endless River")
- Schlager: Helene Fischer ("Farbenspiel")
- Volkstümliche Musik: Andreas Gabalier ("Home Sweet Home")
- Hip-Hop/Urban: Kollegah ("King")
- Dance National: Robin Schulz ("Prayer")
- Dance International: David Guetta ("Listen")
- Rock Alternative/National: Unheilig ("Gipfelstürmer")
- Rock/Alternative International: AC/DC ("Rock Or Bust")
- Crossover: Lindsey Stirling ("Shatter Me")
- Newcomer National: Oonagh ("Oonagh")
- Newcomer International: The Common Linnets (Niederlande)
- Hit des Jahres: "Atemlos durch die Nacht" (Helene Fischer)
- Musik-DVD/Blu-Ray-Produktion National: Helene Fischer ("Farbenspiel")
- Radio Echo: Andreas Bourani ("Auf uns")
- Bestes Video National: Kraftklub ("Unsere Fans")
- Kritikerpreis National: Deichkind ("Niveau Weshalb Warum")
- Live-Act National: Andrea Berg
- Lebenswerk: Nana Mouskouri
- Soziales Engagement: Udo Lindenberg