Essen. Heute Abend debütiert Charlotte Roche als Co-Moderatorin der ehrwürdigen Talkshow „3 nach 9“. Bei aller Kritik stehen die Chancen gut, dass das Ganze eher unterhaltsam als skandalös wird. Immerhin watet diese Frau nicht nur in Feuchtgebieten. Ein kleiner Rückblick.

Manchmal ist die größte Stärke einer Person auch ihre Schwäche. Bei Charlotte Roche ist es der Wunsch, alles anders machen zu wollen – die Hinterfragung von Klischees, Strukturen, Ritualen. In ihren besten Momenten pustet Roche neues Leben in ausgelutschte Formate. In den weniger guten rutscht das Ganze schon mal vom Originellen ins Gewollte.

Respektlosigkeit funktioniert nicht immer

Ein Beispiel für beides war die Musiksendung „Fast Forward“ auf Viva Zwei, mit der sie bekannt wurde. Auf den ersten Blick war diese Show wenig mehr als eine Video-Jukebox mit Zwischenmoderation. Der Unterschied zu ähnlichen Sendungen lag allerdings darin, dass man Bands sah, die nirgendwo sonst liefen. Es war auch die kluge Moderation Roches, die den Videos, Sounds und Personen oft Aspekte abrang, die über die Musik hinausgingen.

Highlights waren die Band-Interviews. Roche fragte nicht, wie es im Studio war. Sie fragte nicht nach dem neuen Produzenten, dem Sound der aktuellen Platte oder wie eine bestimmte US-Band das Publikum in Deutschland findet. Es war eine Wohltat und Seltenheit in dem für Platitüden hochgradig anfälligen Genre des Musikjournalismus.

"Das Buch ist ein Monster"

Ihre kindliche Neugier ist oft ein Zugewinn für die Zuschauer. (c) imago
Ihre kindliche Neugier ist oft ein Zugewinn für die Zuschauer. (c) imago © imago

Ab und zu funktionierten Respektlosigkeit und Kumpelton allerdings nicht. Das Interview mit Adam Green zum Beispiel wirkte wie ein Blind Date, bei dem beide Partner merken, dass sie sich einander irgendwie anders vorgestellt haben. Selten sah man ein Gespräch derart versanden. (Dass es tatsächlich ausgestrahlt wurde, spricht für Roches Souveränität und Selbstironie.) Auch dem Interview mit Robbie Williams war das Bemühen anzumerken, den einen oder anderen Skandal vom Zaun zu brechen. Auf die Frage, ob er sein eigenes Sperma trinke, hätte man als Zuschauer jedenfalls gerne verzichtet.

Das gilt auch für manches Detail in Roches Bestseller „Feuchtgebiete“. Würde man meinen. Andererseits muss man das proktologische Interesse der Deutschen nach einer Millionen verkauften Exemplaren wohl neu bewerten. Und ob das von der Autorin angeklagte Hygienediktat überhaupt existiert, sei mal dahingestellt. Viel Neues lässt sich nach monatelanger Feuilleton-Diskussion nicht sagen. Nur eines steht fest: Inzwischen ist Roche selbst nicht mehr sicher, ob sie sich mit „Feuchtgebiete“ einen Gefallen getan hat. Das Buch sei ein Monster, sagte sie neulich.

Die verbale Sau hat Roche abgelegt

Ein besserer Werbeträger war die Reihe „Charlotte Roche unter ...“, die eine Weile auf 3Sat lief. Hier konnte man eine ganz andere Seite von ihr sehen. Roche begleitete unter anderen Trucker, Müllmänner, Bestatter und Jäger bei ihrer Arbeit. Wer befürchtet hatte, das Ganze könnte nur Anlass für Brummiwitze und makabere Scherze sein, lag falsch. Roche begegnete ihren „Arbeitskollegen“ mit einer kindlichen Neugier und vermittelte den Zuschauern so manche Info, die eine normale Doku nicht geliefert hätte.

„3 nach 9“ bietet Roche nun die nächste Gelegenheit, das Monster „Feuchtgebiete“ wieder loszuwerden. Die Chancen stehen nicht schlecht. „Ich war mal eine verbale Sau, aber ich bin es nicht mehr“, sagt sie. Dass sie nun zum weiblichen Beckmann wird, ist unwahrscheinlich. Zum Glück.