Berlin. Wer hat Angst vor der schwarzen Frau? Die Burka steht für die mit neuer Wucht aufbrandende Islam-Debatte. Es geht hoch her - auch bei Anne Will.
In Dresden waren gerade an die 10.000 Anhänger der Anti-Islam-Bewegung, die sich unter dem Kürzel "Pegida" formiert hat, auf der Straße, um gegen angeblichen Asylmissbrauch, muslimische Extremisten und eine "Islamisierung" Deutschlands zu protestieren. Auch in Düsseldorf gab es eine ähnliche Demonstration. Die CDU wand sich auf ihrem Kölner Parteitag bei der Frage eines Burka-Verbots. Und die Unionsschwester CSU wollte sogar gleich alle Zuwanderer dazu verdonnern, zuhause nur noch Deutsch zu reden. Was ist da los in der Republik?
"Wie viel Freiheit verträgt Deutschland?" wollte Anne Will in ihrem ARD-Talk zur Geisterstunde wissen. Zumindest bei einigen Redebeiträgen von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer konnte man sich fragen: "Wie viel Stuss verträgt Deutschland?" Statt souverän einzuräumen, dass man sich mit dem Deutsch-Gebot einen Ausrutscher geleistet hatte und Schluss - versuchte Scheuer mit vielen Ähs und Ähems zu verteidigen, was nicht zu verteidigen ist.
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer flüchtet sich in Zahlenwerk
Ein Satz von Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin und Lehrerin aus Dinslaken, entlarvte den ganzen Unsinn des CSU-Verstoßes, nämlich: "Je besser ein Kind seine Muttersprache spricht, desto leichter fällt ihm, Deutsch zu lernen." So sieht es inzwischen jede ernst zu nehmende wissenschaftliche Studie. Nur bis Bayern ist das offenbar noch nicht gedrungen.
Doch Scheuer blieb stur. Als Gastgeberin Will ihm Auszüge aus dem CSU-Leitantrag vorhielt, in dem Begriffe wie "Sozialtourismus" oder "soziale Hängematte" vorkommen, versuchte sich der CSU-"General" wortreich in Zahlenkolonnen von Zuwandererstatistiken zu retten. Anne Will, ungewohnt beharrlich, ließ das zwar nicht zu - verpasste allerdings die Gelegenheit dem bayerischen Scharfmacher die Parolen der rechtspopulistischen AfD vorzuhalten, die ganz ähnlich klingen wie der CSU-Antrag. Zufall? Oder versucht eine verunsicherte CSU sich an den rechten Rand heranzurobben?
Keine Partei hat ein schlüssiges Integrationskonzept
Das Problem ist, dass die Zuwanderung und die Versuche, den Zuwanderern bei der Integration zu helfen, in Deutschland meist so wirr und unkoordiniert vonstatten gehen wie diese Will-Runde am Mittwochabend. Da ist eine Mischung aus gut gemeint (Grünen-Ex-Frontfrau Renate Künast: "Die Menschenrechte gelten für alle"), Verunsicherung (siehe Burka-Debatte) und einer Hilflosigkeit, die sich nicht selten in mehr oder minder platten Stammtisch-Parolen (Scheuers "soziale Hängematte") äußert. Doch ein Integrationskonzept, das diesen Namen verdient, hat keine Partei. "Wir haben kein Einwanderungsgesetz, weil wir nicht wissen, was wir da hineinschreiben wollen", konstatierte der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt. Es gehe um die deutsche "Identität".
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Und dann ist da ja noch die Burka. Der Fall einer muslimischen Frau aus Essen, die in Vollverschleierung ihr Kind aus der Kita abholen wollte, hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Verbieten oder nicht, das ist seitdem die Frage. Islamforscherin Kaddor hält zwar nicht viel von der Burka, "aber es muss tolerierbar sein, eine Frau mit solch einer religiösen Einstellung auf der Straße zu begegnen". Schließlich gebe es um nicht mal einhundert Burka-Trägerinnen in Deutschland. Politikwissenschaftler Patzelt sah das ähnlich: "Es ist kein wirkliches Problem." Im Einzelfall sei eine "freundliche Bitte" sinnvoller als das Verbot.
CSU meidet klare Abgrenzung zu Pegida-Demonstranten
Die Burka - also kein Problem? Doch! Denn der Schleier symbolisiert die hohe Emotionalität eines Themas, das 60 Jahre nach der Ankunft der ersten "Gastarbeiter" in der Bundesrepublik immer noch von Unsicherheit und unterschwelligen Ängsten geprägt wird. Deshalb gehen ja in Dresden Tausende auf die Straße, wenn die selbst ernannten Verteidiger des Abendlandes von "Pegida" und AfD zu Demonstrationen rufen. Deshalb bilden sich sofort Bürgerinitiativen, wenn irgendwo eine neue Unterkunft für Kriegsflüchtlinge eingerichtet wird. Doch wie geht man etwa mit "Pegida" um? "Ausgrenzen funktioniert nicht", sagte Patzelt.
"Wir müssen mit den besorgten Bürgerlichen ins Gespräch kommen", forderte CSU-Mann Scheuer. Eine klare Abgrenzung zu den Leuten, die das Schreckensbild einer "Islamisierung des Abendlandes" an die Wand malen, kam dem CSU-Mann nicht in den Sinn.
Burka, Pegida, Sozialtourismus - es sind, wie bei Anne Will, die Schlagworte, die die Zuwanderungs- und Integrationsdebatte beherrschen. Es ist höchste Zeit für ein umfassendes Konzept. Die Will-Runde war dafür kein Auftakt.