Essen. . Nach “Pina“ widmet sich erneut ein Film des großen deutschen Regisseurs Wim Wenders einer überragenden Künstlerpersönlichkeit. Mit “Das Salz der Erde“ verneigt er sich vor dem großen brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado. Martina Schürmann sprach mit Wim Wenders über die Kraft der Fotografie.

Eine Premiere in der Essener Lichtburg ist für Filmemacher Wim Wenders ein Abend unter Freunden. "Zero"-Künstler Günther Uecker ist gekommen wie Andi Meuer von den Toten Hosen. Und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken, der zusammen mit Wenders vor Jahren für den Erhalt des Traditionskinos gestritten hat. An diesem Abend wird die Lichtburg-Leinwand zum großen Bilderalbum. Mit "Das Salz der Erde" hat Wenders dem großen brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado ein Denkmal gesetzt.

Der 70-Jährige hat Porträts menschlichen Leids geschaffen, die in Kopf und Herzen bleiben. Jahrzehnte seines Lebens hat er in den Krisengebieten der Welt verbracht, in Äthiopien, im Kongo, der Sahel-Zone. Mit Martina Schürmann sprach Wenders über die Passion dieses großen Fotografen.

Sie sind selbst Fotograf. Warum wollten Sie unbedingt einen Film über Sebastião Salgado machen?

Wim Wenders: Weil er der Fotograf ist, der mich seit 25 Jahren am meisten beeindruckt. Irgendwann wollte ich diesen Menschenfreund und Abenteurer, den ich immer schon in seinen Bildern erkannt habe, endlich kennen lernen.

Auch interessant

Der Film ist ja nicht nur ein Porträt, er beleuchtet Klima- und Weltpolitik, erzählt aber auch große Familien- und Fotografiegeschichte.

Wenders: Ich wollte einfach herausfinden, warum Salgado zu diesem Ausnahme-Fotografen geworden ist. Da gab es eben auch noch dieses andere Leben, diese paradiesische Kindheit auf der Farm seines Vaters in Brasilien. Und dann später die Enttäuschung, als er diese Landschaft komplett vertrocknet und tot wiedergefunden hat. Bis die utopische Idee aufkam, den Regenwald wieder aufzuforsten, was noch nie jemand vorher getan hat.

Wie verändert die Beschäftigung mit dieser ungeheuer mutigen Vita den Blick auf das eigene Leben?

Wenders: Die große Lektion für mich war die Radikalität dieses Mannes. Wenn er erkannt hat, dass etwas in seinem Leben geändert werden musste, dann hat er das gemacht. Er hat den Job bei der Weltbank aufgegeben, als er merkte, dass sein Herz der Fotografie gehörte. Und dann hat er eines Tages eingesehen: ,Ich kann nicht mehr, ich hab so viel Horror gesehen, dass ich meinen Glauben an die Menschheit verloren habe. Wenn ich weiter fotografiere, werde ich zum Zyniker. Also lege ich die Kamera weg.’ Diese Konsequenz hat mir imponiert.

Auch interessant

Nach „Pina“ ist „Das Salz der Erde“ die zweite große Künstler-Doku in kurzer Folge. Ist das eigene Erzählen für Sie nicht mehr so wichtig?

Wenders: Ich habe einfach das Glück, beides machen zu können. Ich kann als Dokumentarfilmer allein mit meiner Frau und einem Tonmann im brasilianischen Urwald stehen und ein halbes Jahr später mit Weltstars wie James Franco und Charlotte Gainsbourg eine große Geschichte in 3D erzählen. Kommt im nächsten Jahr in die Kinos.

Der Film ist auch eine Verbeugung vor einer Fotografie, die heute im Verschwinden begriffen ist.

Wenders: Ich bin immer geneigt, diese Fotografie noch mit Ph zu schreiben und die neue, andere mit F. Es ist schon fast eine Fotografie aus einer anderen Welt, wo noch ein anderes Ethos dahinterstand und eine andere Verantwortung gegenüber den Menschen. Dieses Bewusstsein, dass Fotografie einmal etwas Besonderes und Kostbares war, das verschwindet immer mehr in Zeiten der Handyfotografie. Deshalb bin ich froh, dass wir es noch einmal geschafft haben, der Fotografie richtig Respekt zu zollen. Wann bekommt man noch Gänsehaut vor so etwas Selbstverständlichem wie der Fotografie!

Auch interessant

Manche finden, diese Bilder von Tod, Hunger und menschlicher Verzweiflung seien „zu schön“ ...

Wenders: Soll man deswegen hässliche Bilder machen, „unästhetische“? Wer will die sehen? Dass man das Leid in der Welt nicht verschweigen darf, dass es auch eine Verantwortung gibt, Menschen in Krisenzeiten zu zeigen, das steht fest. Und wenn sich jemand dabei Mühe gibt, gute Bilder zu machen, dann beweist das auch einen Respekt, den er den Menschen vor der Kamera zollt. Ein Foto aus der Hüfte zu schießen, das ist kein Akt von Respekt. Aber jemand wie Salgado, der oft wochenlang mit den Leuten gelebt und auch gelitten hat, der hat sich das Recht erworben, Bilder von ihnen zu machen. Würdevolle Bilder, nicht beliebige.

Und Salgados Reaktion?

Wenders: Er war bei keiner Premiere dabei, nicht mal in Cannes. Aber vor 14 Tagen hat er den Film in Rio de Janeiro zum ersten Mal auf der großen Leinwand gesehen und da sind ihm die Tränen gekommen. So hatte er seine Bilder noch nie gesehen.