Düsseldorf. . Debatten um Tyrannenmorde, die Gesellschaft und Gerechtigkeit: „Die Gerechten“ von Albert Camus im Düsseldorfer Schauspielhaus in der eisgrauen, glasklaren Inszenierung von Michael Gruner. Und er kommt ohne künstliche Verweise auf die Sprengstoffattentäter von heute aus.

Man hat nicht mehr oft die Gelegenheit, einer solchen Debatte zuzuhören. Es geht um Revolution. Der Tyrann soll ermordet, das Volk befreit werden. „Wir müssen diese Welt zerschlagen“, wettert Stepan. Man hat ihn aus der Haft entlassen. Stepan will Vergeltung. Hier, im Versteck der Organisation, der Terrorzelle der Sozialrevolutionären Partei, trifft er weitere „Gerechte“, an denen die Zeit nicht spurlos vorbei gegangen ist. Im Schauspielhaus haben Albert Camus’ Protagonisten die 60 locker überschritten. Ihre Wut aber, die ist blutjung. Wir sind in Moskau, 1905. Großfürst Sergej muss sterben.

Ein Steinklotz türmt sich im Hintergrund auf, davor Stühle. Mausgraue Hosen, beigegraue Lodenjacken: Müde hocken die Grauköpfe da, starren wortlos geradeaus. Eigentlich sind „Die Gerechten“, uraufgeführt 1949 in Paris, Mitte 20. Bei Regisseur Michael Gruner, selber von 1945, sind sie als Senioren zurückgekehrt. Die Gelenke wollen nicht funktionieren. Mühsam kommen die Gerechten vom Boden hoch. Als Attentäter Kaljajew, 27, die Bombe erhält, gerät er unter dem Gewicht ins Torkeln. Dies ist keine Revolution, die ihre Kinder frisst. Dies ist eine Revolution der längst verspeisten Großväter.

Juchzende Romantikerin

Michael Gruner spart sich künstliche Verweise auf heutige Sprengstoffattentäter. Ihm geht es um die reine Lehre. Einmal erwacht, machen Dora, Iwan, Boris, Stepan und Alexej das, was verbitterte alte Leute tun. Sie poltern. Und sie dozieren: Ist ein politischer Mord gerecht – und unter welchen Umständen? Auch wenn Unschuldige wie die Neffen des Fürsten draufgehen? Wenn der Täter stirbt? Eins für eins, ist das dann ein Patt?

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Gradlinig gespielt ist der Abend, glasklar - silbrig grau. Wolf Aniol bringt als Stephan nackte Wut über die Rampe. Andreas Weissert wird zum jungen, verwundbaren 17-jährigen Alexej. Marianne Hoika, lässig daherschreitend, als käme sie zufällig vorbei, ist eine Bomben bauende, kleinmädchenjuchzende Romantikerin - Reinhart Firchows Borja: der ideale Chefgenosse.

Die fremde, neue Zeit

Michael Abenroth verkörpert Kaljajew, den Mörder mit Poetenseele, als leichtfüßigen Grandseigneur, beschwingt von der Idee eines freien selbstbestimmten Lebens. Winfried Küppers schließlich spielt den Häftling Foka. Die Revolution „der feinen Leute“ ist ihm egal. Er betreut Janek im Knast. Für jeden, den er hängt, erhält er ein Jahr Hafterlass. Foka findet das gerecht.

Immer wieder kauert sich das Grüppchen im russischen Winter zusammen, blickt furchtsam in die fremde, neue Zeit. Traurig ist das, bitte. Wobei: Vermutlich wird bald die erste Wut-App fürs Handy erfunden.

Karten/Termine www.duesseldorfer-schauspielhaus.de