Salzburg.. Eine Koproduktion führt Rhein und Salzach zusammen. Die aktuelle Produktion der Salzburger Festspiele wird demnächst auch in Düsseldorf zu sehen sein. Im Erinnern an das Weltkriegsjahr 1914 gilt es Tollers tragischem „Hinkemann“. In der Titelrolle ist Jonas Anders außergewöhnlich stark.
Er kehrt aus dem Ersten Weltkrieg zurück und Eugen Hinkemann „ist kein Mann mehr“, wie seine Frau Grete klagt. Im Schützengraben hat man ihm sein Geschlechtsorgan weggeschossen. Er hat überlebt, aber das zählt nicht. So erhängt sich die Titelfigur des Dramas an einem Karussell – ähnlich wie sein Autor Ernst Toller. Der Politiker, Schriftsteller und Philosoph floh nach 1933 vor den Nazis in die USA und nahm sich 1939 in einem Hotel das Leben.
Das Stück über Unmenschlichkeit und Grauen des Weltkriegs endet in der Salzburger Inszenierung – Koproduktion mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus - mit einem autobiografischen Verweis. Bewusst entschied sich Milos Lolic dazu. Der 35-jährige Serbe, der 2013 mit einem Nachwuchs-Nestroy-Preis geehrt wurde, zeigt Hinkemann als Sprachrohr Ernst Tollers, der Mitmenschlichkeit und soziale Gerechtigkeit einforderte.
Tragödie stand einst unter Polizeischutz
1923, als die Tragödie unter Polizeischutz uraufgeführt wurde, fühlte sich nicht nur das bürgerliche Publikum provoziert. Die expressionistische Kraft der bizarren Figuren irritierte ebenso wie die sozialen Utopien, die Hinkemann verkündet und von der Nachkriegs-Gesellschaft einfordert.
Als Homunkulus, der Ratten die Kehle durchbeißt, verdient der Kriegs- und Geschlechtsbeschädigte seinen Lebensunterhalt auf dem Rummelplatz. Alles tut Hinkemann, um seiner geliebten Grete das Leben zu erleichtern. Dass sie sich ausgerechnet von Hinkemanns bestem Freund Paul verführen lässt, verletzt den Kriegsversehrten – mehr aber noch der Spott, dem er fortan ausgesetzt ist.
Sprachgewaltige Szenen
In einigen sprachgewaltigen Szenen rund um den Torso eines Jahrmarkt-Karussells (Bühne:Sabine Kohlstedt) sucht er Nähe zu Anarchisten, alle unter Narrenkappen versteckt. Doch ihre Heilslehren kennen keinen Trost. Die letzte Möglichkeit sieht Hinkemann in der Flucht zu seiner Mutter. Doch auch dort: keine Perspektive.
Auch interessant
Schauspielerisch ist Tollers Sprache lediglich der Hauptdarsteller Jonas Anders gewachsen. Der erst 27-jährige Mime aus dem Düsseldorfer Ensemble macht aus Eugen Hinkemann einen Zyniker, der sich als „Krüppel“ bezeichnet, dann einen Haderer und Sozialromantiker, der seine weggeschossenen Genitalien als Metapher für eine durch Krieg zerstörte Gesellschaft sieht.
Festspiele erinnern mit der Stückauswahl an 1914
Insgesamt steht das Schauspiel der Salzburger Festspiele heuer unter dem Zeichen des Gedenkjahres 1914 und seiner Folgen. Einen Marathon von viereinhalb Stunden erfordert etwa Karl Kraus’ „Letzte Tage der Menschheit“ – in der bitterernsten Inszenierung von Georg Schmiedleitner, der für den davongejagten Matthias Hartmann eingesprungen war. Denn dies ist eine Koproduktion mit der Wiener Burg. Zu bewundern hier die schauspielerische Bravur der ersten Burg-Garde.
„Hinkemann“ ist ab 19. Sept. im Schauspielhaus Düsseldorf zu sehen. Tickets: 0211/ 36 99 11