Paris. . Marianne Faithfull blickt stolz und staunend auf ihr Leben zurück. Jetzt hat sie ihr mittlerweile 20. Album heraus, unterstützt von Nick Cave, PJ Harvey und Brian Eno, und geht damit in Deutschland auf Tour. Ein Gespräch über Drogen, Stolz und Ideen im Bett.
„Give My Love To London“ heißt das neue Album von Marianne Faithfull. Ein weiteres Mal ist der 67-jährigen Grand Dame des wilden Lebens – unterstützt von Musikerfreunden wie Nick Cave, PJ Harvey, Brian Eno oder Anna Calvi – ein vorzügliches Alterswerk gelungen. Faithfull blickt auch in ihren Songs unsentimental zurück auf ihre schillernde Vergangenheit, auf die Zeit als Geliebte von Mick Jagger, auf den krassen, drogen- und depressionsbedingten Absturz und den Wiederaufstieg zu einer hochgeschätzten Rock’n’Roll-Lady mit rauchiger Stimme (den Zigaretten hat sie übrigens vor einem Jahr abgeschworen). Steffen Rüth traf Faithfull vor ihrer Deutschland-Tour – in Paris.
Frau Faithfull, wie geht es Ihnen überhaupt?
Marianne Faithfull: Es wird, es wird. Bis zur Tournee wird der Körper wieder völlig intakt sein. Ein Trainer kommt regelmäßig und macht Übungen mit mir, ich gehe schwimmen und viel spazieren. Ich tue, was ich kann, um meine Ärzte zufriedenzustellen. Sie können mir glauben, es gibt eine ganze Galerie von Röntgenaufnahmen aus diesem Jahr. Ach je, das waren nicht die einfachsten zwei Jahre für mich.
Verständlich. Sie haben sich im Sommer 2013 schwer am Rücken verletzt und in diesem Mai brachen Sie sich bei einem Sturz in Griechenland die Hüfte.
Marianne Faithfull: (stöhnt): Stimmt alles, doch lassen Sie uns nach vorne blicken. Worauf es ankommt, was wirklich wichtig ist, das ist die Musik!
„Give my Love to London“ ist ein sehr buntes, vielschichtiges Album. Wo sind die meisten Ideen für Melodien und Texte entstanden?
Marianne Faithfull: Im Bett.
Jetzt sprechen wir ja doch wieder über Ihre Verletzungen.
Marianne Faithfull: Hilft ja nichts, das gehört nun einmal zur Geschichte dieser Platte dazu. Ich lag für wirklich sehr lange Zeit flach auf dem Rücken und konnte nicht viel machen. Wenn du dich so schleppend erholst, wirst du nachdenklich, wehmütig, auch traurig. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, wer ich bin, woran ich glaube, den wichtigen Fragen, für die du wirklich Zeit und Muße brauchst, habe ich mich gewidmet.
Wie lauten Ihre Antworten auf die existenziellen Fragen?
Marianne Faithfull: Kommen Sie, glauben Sie wirklich, ich würde Ihnen diese persönliche Frage beantworten (lacht). Ich kenne die Antworten, das reicht doch. Die, die für die Öffentlichkeit taugen, stecken in meinem Album.
Sie sagen, Sie wissen nun, wer Sie nicht sein wollen. Nämlich?
Marianne Faithfull: Ich bin keine Ikone. Ich bin auch kein Popstar. Ich bin erst recht keine Legende. Dieser Nonsens hängt mir wirklich zum Halse raus. Ich bin eine hart arbeitende Künstlerin und Musikerin, daran habe ich mich bewegungslos im Krankenbett wieder erinnert.
„Give my Love to London“, der Titelsong ist überraschend tanzbar.
Marianne Faithfull: Gott, ja, das ist er. Ich mache meine morgendlichen Bewegungsübungen zu diesem Lied.
Kann es sein, dass Musiker und Künstler heute offener mit Ihrer Drogengeschichte umgehen als früher? Nick Cave etwa...
Marianne Faithfull: Das fällt dir umso leichter, je größer der zeitliche Abstand ist. Ich nehme seit etwa 25 Jahren keine Drogen mehr. Ich fühle auch keine Scham deswegen. Für mich waren die Drogen ein Teil meines Lebens. Und ich fand das weder damals noch jetzt im Nachhinein schrecklich, dass ich Heroin nahm und trank. Ich stehe dazu.
Hat sich die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Suchtproblemen verändert?
Marianne Faithfull: Ich finde, die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber Alkohol und Drogen ist komplett heuchlerisch und einfach nur verlogen.
Möchten Sie das näher erläutern?
Marianne Faithfull: Nein! (lacht). Sowohl Sie als auch ihre Leser dürften klug genug sein, um zu verstehen, worauf ich hinaus will.
Sie wurden mit 17 Jahren auf einer Party von Stones-Manager Andrew Lloog Oldham entdeckt. Was empfinden Sie, wenn Sie auf diese 50 Jahre blicken?
Marianne Faithfull: Stolz. Ich habe das nicht erwartet. Es kommt mir vor, als hätte ich als große Außenseiterin das Pferderennen gewonnen.
Was macht Sie am meisten stolz, wenn Sie an ihre Karriere denken?
Marianne Faithfull: Na, die vielen herrlichen Alben, die ich gemacht habe. Und, wenn Sie mich schon so fragen: Dass ich immer noch am Leben bin! (lacht)
- Am 20. Oktober kommt Faithfull mit ihrer „50th Anniversary Tour“ in die Mitsubishi Halle nach Düsseldorf. Es ist eines von sieben Konzerten in Deutschland – das einzige in NRW.
- Der Britin mit österreichischen Ahnen (Sacher-Masoch) war auch eine späte Filmkarriere beschieden. Ihre Darstellung der „Irina Palm“ (2007) begeisterte Kritik und Publikum.