Paris.. Paris. Mit 64 ist
Mit 64 ist Marianne Faithfull, die Mutter aller Rock-Chicks, aktiver denn je. Was sich nicht nur an ihrem neuen Album „Horses and High Heels“ festmachen lässt, sondern auch an zwei Kino-Filmen und einer radikalen Abrechnung mit den mystisch verklärten 60ern. Die Lady mit dem hochadligen Stammbaum sprach mit unserem Mitarbeiter Marcel Anders.
Frau Faithfull, sie gelten als die Courtney Love der Swinging Sixties. Wie wild haben sie es damals wirklich getrieben?
Musiker und ihre Musen: Das Mädchen aus dem Song
Marianne Faithfull: Nicht so wild, wie die Leute glauben. Und das meine ich vollkommen ernst. Schließlich habe ich mittlerweile einen Computer. Was bedeutet, dass ich im Internet all diese unglaublichen Sachen über mich lese. Also diese Fantasien, die andere über mich haben, und die mich einfach nur verblüffen. Ich meine, ich will keine Träume zerstören, aber das Meiste stimmt nicht.
Zum Beispiel?
Nun, ich habe nie an all diesen Orgien teilgenommen. Das war nicht meine Art. Aber: Man kann die Leute halt nicht daran hindern, das zu denken. Also: Was soll ich dagegen tun?
Was die sechziger Jahre betrifft, scheint mittlerweile eh eine Menge Verklärung im Spiel zu sein.
Ja, sie werden fürchterlich glamourisiert. Und das Tragische ist, dass die heutigen Kids gar nicht die Möglichkeit haben, etwas Ähnliches zu erleben. Sei es wegen Aids oder all den anderen Probleme auf dieser Welt. Sie können niemals so ein freies Sexualleben haben, wie ich – oder wie man es mir nachsagt.
Gibt es gesellschaftlich nichts, gegen das man rebellieren müsste?
Wahrscheinlich nicht. Aber das wollen die jungen Leute ja auch gar nicht. Und um ehrlich zu sein: So rebellisch waren wir eigentlich auch nicht. Was genau das Problem mit den ‘60ern ist: Es ging nur um lange Haare und Drogen. Das war alles. Ich meine, wir hätten ein paar gute Sachen machen können. Aber das haben wir nicht. Insofern war es eine riesige Zeitverschwendung. Und ich bin immer noch dabei, das Verlorene aufzuholen – weil ich ja besonders verschwenderisch war.
Ihrer Autobiografie zufolge haben sie aber vor allem deshalb Drogen genommen, weil sie das wollten. Also: Weil ihnen das Vergnügen bereitet hat…
Das hat es damals auch. Ich meine, ich weiß nicht mehr wirklich, warum ich überhaupt mit Drogen angefangen habe. Aber ich muss halt eine Art Leere oder einen Mangel an etwas gespürt haben – etwas, bei dem mir die Drogen geholfen und vielleicht sogar eine heilende Wirkung gehabt haben. Wobei ich das mittlerweile ganz anders sehe. Also: Ich kann nicht fassen, dass ich das tatsächlich genossen habe. Doch das habe ich.
Weil sie so vor ihrem Image als „Pop-Prinzessin der 60s“ oder als „Engel mit großen Brüsten“ flüchten konnten, wie Stones-Manager Andrew Loog Oldham sie einst getauft hat?
Das spielt da auch mit rein. Und Drogen waren eine gute Art, zu flüchten. Aber nicht mehr…
Halten sie Mick Jagger, mit dem sie bis 1970 liiert waren, immer noch für attraktiv?
Ein bisschen schon. (lacht) Ja, ich schätze, er ist ganz OK.
Oder stehen sie mittlerweile mehr auf Keith Richards?
Ich liebe Keith! Das tue ich wirklich. Aber ich denke, ich würde mich immer wieder für Mick entscheiden.
Obwohl Keith den wärmeren Charakter hat?
Ja, er ist freundlicher und herzlicher.
Und zu ihm haben sie immer noch engen Kontakt?
Stimmt. Wir haben erst vor ein paar Jahren ein Stück für mein letztes Solo-Album aufgenommen. Und wer weiß: Hätte ich mich damals für ihn entschieden, vielleicht wäre in meinem Leben einiges anders gelaufen. Vielleicht aber auch nicht.