Stockholm. Von der Außenseiterin zur Favoritin: Die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch wird dieses Jahr als heiße Anwärterin auf den Literaturnobelpreis gehandelt. Doch die Jury lässt sich nicht in die Karten gucken, wenn es um die begehrteste Literaturauszeichnung der Welt geht.
Als die neue Nobeljurorin Sara Danius im September durch ein Einkaufszentrum mitten in Stockholm bummelt, drückt sie ihre Lederhandtasche fest an sich. Falls sich darin überhaupt Nobelpreis-Lektüre befindet, würde sie die wohl niemals bei einer Shoppingpause oder in der U-Bahn lesen - gerade um diese Zeit im Jahr nicht. Die Vergabe des Literaturnobelpreises steht kurz bevor.
Mehr denn je stochern Branchenkenner und Journalisten im herbstlichen Schweden im Nebel, wenn es um die in diesen Tagen heißeste Frage geht: Wer bekommt die begehrteste Literaturauszeichnung der Welt?
Auch interessant
Gerüchte kursieren
Auf der größten Buchmesse Schwedens in Göteborg kursieren Ende September die Gerüchte - von unterhaltsam über abstrus bis gar nicht mal so abwegig. 36 neue Namen sind laut der Jury unter den Nominierungen - doch im Gespräch sind vor allem die alten. "Es wird wieder sehr viel über Swetlana Alexijewitsch gesprochen, mehr noch als letztes Jahr", sagt der schwedische Verleger Svante Weyler. Ihr Name war 2013 im Endspurt an die Spitzen der Wettlisten geschossen.
Auf die weißrussische Autorin setzt auch Kulturredakteur Jens Liljestrand von der schwedischen Boulevardzeitung "Expressen". "Ich glaube, sie wollen der literarischen Reportage den Preis geben. Es ist ein Genre, das noch nie ausgezeichnet wurde." Dass die Experten sich einig sind, dürfte die Schwedische Akademie, die den Preis vergibt, wenig beeindrucken. Wenn es um Formen gehe, sei der Bund aus 18 Mitgliedern so konservativ wie die Literatur selbst, sagt Weyler.
Strenge Regeln und Decknamen
In einem ist "Die 18" ausgesprochen gut: im Dichthalten. Strenge Regeln und Decknamen für die Autoren in den geheimen Beratungen sorgen dafür, dass die Außenwelt nicht einmal den Hauch einer Ahnung bekommt. "Harold Pinter nannten sie "Harry Potter"", sagt Weyler. Er ist sich sicher, dass die Lippen der Juroren auch diesmal versiegelt bleiben. "Nichts wird herausdringen, und wenn es das tut, kann man davon ausgehen, dass es eine falsche Spur ist."
Der Ständige Sekretär der Akademie Peter Englund gibt in diesem Jahr erst gar keine Interviews vor der Bekanntgabe. Auf der Buchmesse hingen Journalisten ihm und seinen Kollegen wohl trotzdem an den Lippen. "Das ist wie bei der Sphinx: Zwei Worte fallen, und dann wird diskutiert. Die Geheimnis-Bande hat ihre Freude daran", sagt Weyler.
Auch interessant
Deutschsprachige Autoren machen sich auf den Wettlisten rar
Wettlisten im Internet wie die von Ladbrokes machten es Medien aber zugleich einfacher, meint Elise Karlsson, Kulturredakteurin beim "Svenska Dagbladet". Diese führt allerdings seit Jahren der "ewige Favorit" Haruki Murakami an. Immer ging der Japaner leer aus. Ihm auf den Fersen ist nach Wettquoten der Kenianer Ngugi Wa Thiong'o - ein aussichtsreicher Kandidat, meint Karlsson: "Er ist einer der stärksten afrikanischen Autoren, und der Kontinent ist lange missachtet worden."
Missachtet wird nach Ansicht vieler Kritiker auch die Riege US-amerikanischer Nobel-Anwärter wie Philip Roth, Thomas Pynchon oder Joyce Carol Oates. Mit der Kurzgeschichtenautorin Alice Munro ging der prestigeträchtige Preis 2013 immerhin an eine Kanadierin.
Deutschsprachige Autoren machen sich dagegen schon auf den Wettlisten rar - mit Ausnahme des Österreichers Peter Handke. Der Schriftsteller ist aber wegen seiner Pro-Serbien-Haltung umstritten. Bei der Verleihung des norwegischen Ibsen-Preises war er dafür kürzlich ausgebuht worden. "Er ist auch literarisch umstritten", meint Weyler.
Auch interessant
Geheimniskrämerei als ein Schlüssel zum Erfolg des Preises
Der langjährige Chef des Hanser-Verlags, Michael Krüger, führt Handke trotzdem auf seiner Favoritenliste - genau wie den deutschen Dramatiker Botho Strauß. Schriftsteller Uwe Tellkamp kann sich nicht nur etwa die Rumänin Mircea Cartarescu für ihre "Orbitor"-Trilogie als Nobelpreisträger vorstellen, sondern auch Joanne K. Rowling für die "Harry Potter"-Reihe. Das seien "jene Bücher unserer Zeit, die sich den großen Leistungen der Vergangenheit ohne Bedenken an die Seite stellen lassen", lässt er dpa wissen.
Bei den Online-Tippern fällt die literarische Mutter des Zauberlehrlings dagegen durch. Behalten die Zocker Recht? Tappen die Kenner im Dunkeln? Gelüftet wird dieses Rätsel erst an einem Donnerstag in der ersten Oktoberhälfte - an welchem, verrät die Akademie nicht. Die Geheimniskrämerei sei eben auch ein Schlüssel zum Erfolg des Preises, meint Weyler: "Sie hat sich ja gelohnt, wir sitzen da und spekulieren." Die Spannung sollte die Literaturwelt aber mit Genuss aushalten - würde jedenfalls der Träger eines anderen Nobelpreises, Physik-Genie Albert Einstein raten. Er fand: "Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle." (dpa)