Ruhrgebiet. Zehn Museen präsentieren 50 Künstler des Reviers. An diesem Wochenende werden die ersten Ausstellungen von Duisburg bis Recklinghausen eröffnet. Zum Vorschein kommt, dass das Ruhrgebiet zwar nicht mehr Heimat der Avantgarde ist, aber dafür über eine spektakuläre Bandbreite in Sachen Kunst verfügt.

In Sachen Kunst war das Ruhrgebiet lange eine Speerspitze der Moderne, vom „jungen westen“ in den 50ern über die Industriekunst der Gruppe „B 1“ bis zu den Fluxus-Aktionen der 70er. Inzwischen ist der Begriff Avantgarde museumsreif und die einstige Spitze einer großen Bandbreite gewichen. Über vier Jahrzehnte ist es her, dass sich zuletzt jemand eine Bestandsaufnahme der Kunstszene im Ruhrgebiet unternommen hat. Der damalige Folkwang-Kurator Dieter Honisch nahm 1972 dafür das Essener Museum und die Gruga in Anspruch. Wie sehr die Szene gewachsen ist, lässt sich schon daran ablesen, dass man heute zehn Ruhrkunstmuseen braucht, um 50 Künstler der „Ruhr-Kunst-Szene“ zu präsentieren. Ein erster Überblick zu fünf der insgesamt zehn Ausstellungen.

2014 Positionen

Die Kunsthalle Recklinghausen lässt die Malerei der letzten Jahrzehnte Revue passieren. Und kann ein klassischer Abstrakter wie Kuno Gonschior mit all seiner Farbkraft gut neben den jüngeren Künstlern wie dem Dortmunder Marc Podawczyk bestehen, der seine Malerei am Computer komponiert. Oder neben der spektakulär schönen Industriekunst von Jürgen Paas, der kunterbunte Materialrollen und Kreis-Scheiben aus der Autolackiererei zu Stillleben an die Wand hängt. Elly Valk-Verheijen wiederum hat die Wände der Kunsthalle fotografiert und die Aufnahmen am Bildschirm vergrößert, bis nur noch riesige, erstaunlich bunte Pixel übrig blieben. Die Malerei sprengt alle Rahmen, aber wenn sie wie bei Rudolf Vombek oder Hartwig Kompa auf der Leinwand oder auf dem Aluminium bleibt, erzeugt sie aufregende Momente stiller Schönheit (Große-Perdekamp-Straße 25, di-so 11-18 Uhr).

Fotoaugen

Mit „Fotoaugen“ strahlt Gelsenkirchens Kunstmuseum. Den Impuls dazu gaben Arbeiten des Gelsenkirchener Grafikers und Fotografen Anton Stankowski (1906-1998) aus der Sammlung des Hauses. Seine Alltagsfotografien aus den 1920er- und 30er-Jahren waren damals revolutionär: Autos in Bewegung, blütenweiße Betttücher, die zwischen rauchenden Schloten auf der Wäscheleine im Wind wehen. Diesen Momentaufnahmen hat Museumsleiterin Leane Schäfer Arbeiten der jungen Dortmunder Fotografin Denise Winter gegenübergestellt, die mit ganz ähnlichen Elementen arbeitet. Peter Buchwald zeigt „Lichtbilder“, die wie gemalt wirken. Und Revierfotograf Hans Blossey schärft mit seinen Luftbildern den Blick für sagenhafte Landschaftskompositionen. (Horster Straße 5-7, di-so 11-18 Uhr, Eintritt frei).

Stromaufwärts

Die Oberhausener Ludwig Galerie hat zehn Künstlerinnen und Künstlern zwischen 20 und 40 Jahren eine lichte Bühne bereitet. In der Panoramagalerie (Kleines Schloss) finden „junge Positionen“ zu- und gegeneinander: Fotografie, Malerei, Grafik, Video, Skulptur, Sound, Installation. Alle Künstler stammen aus dem Ruhrgebiet oder haben hier studiert. Mit Heimatkunst hat das aber gar nichts zu tun, nicht einmal die grobkörnig- malerische Polaroid-Serie des Fotografen Thomas Schweigert, den die „kultivierte Prärie“ fasziniert hat und der sich noch am meisten der „klassischen“ Reviermotive annimmt.

Fünf von zehn

Die weiteren Ausstellungen sind „Neue Heimat Ruhrgebiet“ (Kunstmuseum Bochum) und „Raumstücke (Flottmann-Hallen/Emschertal-Museum Herne) sowie die beiden Einzel-Ausstellungen von Charlotte Moth (Skulpturenmuseum Glaskasten Marl) und Frauke Dannert (Märkisches Museum Witten).

Über diese Ausstellungen berichten wir in einer der kommenden Ausgaben.

Insgesamt überwiegt ein geweiteter, ironischer Blick auf Welt und Kunst Die Waschlappen von Holger Kurt Jäger mit lauter „Despoten“-Visagen drauf offenbaren einen ähnlich melancholisch-subversiven Humor wie Gaby Peters armes Aufziehküken, das im Video nach und nach seine Flügel aus lauter Akupunkturnadeln abrüttelt. Und ihre kreiselnde „Antifunktionsmaschine“ zeigt, was sie drauf hat: nur den Hinweis, dass sie nicht funktioniert. Man kann sich die Ausstellung zwar auch vom Kaisergarten aus durchs Fenster anschauen, aber man sollte unbedingt reingehen: Einige Arbeiten beziehen sich ausdrücklich auf den Außenraum. Außerdem ist der Eintritt frei. (Konrad-Adenauer-Allee 46, di-so 11-18 Uhr)

Der subversive Geist

Mülheims Kunstmuseum Alte Post widmet sich den Aufmischern und Ironikern aus dem Revier – verblichenen Dada-Helden wie Martin Kippenberger („Mutti, hol mich von der Zeche, ich kann das Schwatte nicht mehr sehn“) oder den frühen Filmen von Christoph Schlingensief (mit Helge Schneider!), von dem auch acht Beiträge zum WDR-Politmagazin „Zak“ am Bildschirm zu verfolgen sind. Laas Abendroth und Matthias Schamp treiben schönen Schabernack mit dem Kunstbetrieb (etwa mit einem Feuerlöscher, der nicht auf seine Bilder gerichtet werden darf). Und Johannes Gramm arbeitet mit allen Bildmanipulations-Mitteln an der sarkastischen Verwirrung des Publikums. Kunst für alle, die zum Lachen nicht in den Museumskeller gehen. (Synagogenplatz 1, di-so 11-18 Uhr).

Duisburger Perspektiven

„Linien stiller Schönheit“ heißt die Dauerausstellung des seit fünf Jahren bestehenden Museums DKM in Duisburg. Und die Arbeiten der sieben Künstler, die hier zu sehen sind, fügen sich in dieses Konzept: Auf spektakuläre Weise Gereon Krebber, der eine zerbröselnde Wand aus spaghettiartigem Bauschaum in den Weg gestellt hat und Keramik-Stalagmiten von der Decke baumeln lässt. Konstruierte Vergänglichkeit, während Yevgeniya Safronova eine schier unvergängliche Knoten-Skulptur aus der Wand wachsen lässt. Manfred Vogels expressive Malerei kontrastiert aufs Feinste mit der poetischen Buchstabenkunst von Barbara Köhler. Und die Schwarzweiß-Serien, die Timm Rautert in den 70er-Jahren von den Amish-People und den Hutterern in den USA gelangen, sind in aller Stille – sensationell. (Güntherstraße 13, sa/so 12-18 Uhr und nach Vereinbarung)