Bochum. Ein Requiem der besonderen Art. Wie weit der Erste Weltkrieg nach Menschenleben griff und Existenzen vernichtete, erzählt eine Tanz-Produktion der Ruhrtriennale. 100 Jahre nach 1914 beschreibt „I AM“, wie die Vernichtung selbst kleine Inselvölker auf der anderen Seite der Erde erreichte.

Vor einer riesigen Metallwand schleichen dunkle Figuren gebeugt und schieben schwarze Boxen, die wie Särge ausschauen. Plötzlich tönen Urschreie durch die Bochumer Jahrhunderthalle, ein Tänzer zappelt mit seinen Gliedmaßen, bevor er einer weißgekleideten Frau das Genick bricht und ihren Leichnam mit Blumen bekränzt. Dunkle Wesen stimmen in ein Klagelied ein. Trauer und Totenklage dominieren die mythischen Bilder, mit denen Lemi Ponifasio an die mörderischen Auswüchse des Ersten Weltkriegs erinnern will.

Der neuseeländische Choreograf, der 2012 die Ruhrtriennale mit „Prometheus“ verzaubert hatte, findet in seiner Performance „I AM“ zu tiefgründigen, aber rätselhaften Tableaus, in denen er westliche Tanztheater-Tradition mit der Kultur seiner Heimat vereint. Denn Ponifasio kommt aus Samoa, einem Pazifikinselstaat nahe der Fiji-Inseln, und beschwört 2014 die Folgen des Ersten Weltkriegs auf die Inselgruppen, die damals zum Kolonialreich europäischer Großmächte gehörten. Auch Soldaten von Samoa und Neuguinea (einst Kaiser Wilhelm Land) mussten in den Krieg ziehen und starben. So beginnt die Performance mit dem Deutschlandlied, zu hören von einer kratzigen Schallplatte.

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Maori-Ensemble tanzt das zeitgenössische Requiem

Dann zeigt er uns den Menschen, der leidet, elendig stirbt, wie Christus am Kreuz an eisernen Boden genagelt wird und verendet. All’ diese Szenen, die sich im Zeitlupentempo entwickeln, verbindet der Choreograf mit Ritualen und Klage-Gesängen in pazifischen Inselsprachen. Ponifasio verwendet Texte von Heiner Müller (Hamletmaschine) und Antonin Artaud (Gottesgericht). Zu verstehen sind sie nicht. Nur zu erahnen sind auch die Word-Paintings des neuseeländischen Malers Colin McCahon, die auf die Wände der Industrie-Kathedrale projiziert werden.

Sehenswert ist das manchmal langatmige Requiem, getanzt von dem Maori-Ensemble Mau, besonders wegen der ungewöhnlichen Mischung der Kulturen, der Sog-Kraft der Bilder. Sie wirken nachhaltig wie die Einsicht in das Leid, das der Erste Weltkrieg selbst auf der südlichen Halbkugel angerichtet hat.

  • Bis 31. August, Jahrhunderthalle Bochum. www.ruhrtriennale.de