Phillip Boa (51) legt mit “Bleach House“ sein 20. Studioalbum vor – und behauptet damit auch das Album als Kunstform. Im Interview spricht der Musiker aus Dortmund über frühe Erfolge, seinen zweiten Frühling und die Apokalypse, die auch heiter sein kann.

Ernst Ulrich Figgen alias Phillip Boa, 51, zählt zu den wenigen deutschen Musikern, die auch international Anerkennung finden. Der Gitarrist und Sänger aus Dortmund arbeitete in der Vergangenheit mit Bowie-Produzent Tony Visconti sowie mit Mitgliedern von Faith No More und Slayer. Auf seinem 20. Studioalbum „Bleach House“ singt er gegen die Oberflächlichkeit an und musiziert zwischen entfesseltem Indie-Pop und avantgardistischem Rock. Olaf Neumann fühlte dem unbarmherzigen Kämpfer für das Wahre, Schöne und Gute auf den Zahn.

Phillip Boa, Sie haben sich in den letzten Jahren intensiv mit Ihrer musikalischen Vergangenheit beschäftigt. Hat dies Ihre gegenwärtigen Aktivität befruchtet?

Phillip Boa: Ich sauge eigentlich ständig etwas auf. Die Gegenwart langweilt mich nicht, ich finde sie abenteuerlich. Fast täglich ändert sich irgendwas, geopolitisch und so weiter. Ich habe nie aufgegeben meine Wut auszudrücken. Mich stören gewisse Dinge, dies wollte ich auch einmal rausschreien.

Zum Beispiel in dem Song „Icons Of Anarchy“. Welches sind Ihre Ikonen der Anarchie?

Boa: Ich meine mit Anarchie keine politischen Umstürze, sondern die Teufel in mir, die ich in „Icons Of Anarchy“ besinge. In den 1990er-Jahren hatte ich fünf Jahre richtig Erfolg, das war, als hätte ich meine Seele verkauft.

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Wie Doktor Faustus. Dadurch habe ich meine Freiheit verloren und bin paranoid geworden. In dem Song schreie ich aus Verzweiflung heraus, dass ich wieder normal werden will.

Sie bezeichnen Ihr Album als ein Statement gegen eine Tendenz. Was beobachten Sie gegenwärtig in der Musikbranche?

Boa: Im britischen New Musical Express regte sich ein Journalist fürchterlich darüber auf, dass manche meinen, das Format „Album“ passe nicht mehr in die Zeit. Es reflektiere die Vergangenheit und nicht die Zukunft. Auch ich kämpfe für das Album. Die Single hingegen ist längst tot. Mein neues Album ist extrem liebevoll gestaltet, die Collector’s Edition fast schon eine Kunstform.

Die Leute, die heute noch Alben kaufen, sollen auch belohnt werden. Kürzlich habe ich mir eine CD angeschafft von einem meiner Helden. Da war noch nicht mal ein Booklet drin, ein richtiger Billig-Mist! Das ist für mich Fan-Bestrafung. Da muss man sich nicht wundern, dass kaum noch einer CDs kauft.

Ihr letztes Album „Loyalty“ erzielte den höchsten Charterfolg in Ih­rer Karriere. Erleben Sie gerade Ih­ren zweiten Frühling?

Boa: An meinen Konzerten merke ich eine steigende Tendenz. In manchen Städten erleben wir eine Verdreifachung des Publikums.

Warum ist Pia Lund vergangenes Jahr endgültig aus dem Voodooclub ausgestiegen?

Boa: Sie meint, dass man als Frau in dem Alter nicht mehr so auf der Bühne agieren sollte, wie wir das machen. Wir konnten das nicht nachvollziehen, es gibt ja tolle Gegenbeispiele wie Patti Smith, Blondie oder Kim Gordon.

Die neue Sängerin heißt Pris. Wie haben Sie sie gefunden?

Boa: Über Bekannte. Pris hat uns sehr überzeugt. Ich kann ihre Identität nicht preisgeben, weil ich sie selbst noch nicht so richtig kenne.

Sie muss sich erst als Voodoo-Club-Mitglied etablieren. Bis ich sicher bin, dass sie eine von uns ist, bleibt ihre Identität verborgen.

Macht es wirklich einen Unterschied, seine Songs in den Londoner Konk-Studios mixen und in den New Yorker Avatar Studios mastern zu lassen?

Boa: Es macht definitiv einen Unterschied. Das Equipment dort ist erstklassig. Und nicht digital. Ich bin der Meinung, dass man ruhig mit der Musik reisen soll.

„Bleach House“ ist Ihr 20. reguläres Studioalbum in 30 Jahren. Grund genug, einmal die Sektkorken knallen zu lassen?

Boa: Nee, das wird geflissentlich ignoriert. Für mich beginnt meine Geschichte auch erst mit dem 1985er-Werk.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Boa: Zerrissen. Jemand hat mich mal als heiteren Apokalyptiker bezeichnet. So würde ich mich auch sehen. Hier und da will ich meine Hörer nachdenklich machen, ohne dabei wie ein Politiker rüberzukommen.