Phillip Boa kennt den Reiz, der das Leben ausmacht. Er sieht ihn durch immer mehr Regeln und Verbote bedroht. Auf dem pressfrischen Album “Diamonds Fall“ kann man nach diesen Botschaften schürfen.

Essen. Phillip Boa kennt den Reiz, der das Leben ausmacht. Er sieht ihn durch immer mehr Regeln und Verbote bedroht. Auf dem pressfrischen Album "Diamonds Fall" kann man nach diesen Botschaften schürfen. Heute ist Phillip Boa ab 19 Uhr auf DerWesten im Live-Chat und beantwortet Fragen.

Dank seiner beständigen Weigerung, musikalische Kompromisse einzugehen, genießt Phillip Boa heute einen Respekt, den man ihm in einer gerechten Welt zwei Jahrzehnte zuvor hätte zollen müssen. Auf seinem letzten Album gab er einen ebenso zeitgemäßen wie eingängigen Kommentar zu aktuellen Strömungen der Indiemusik ab, hingegen besinnt er sich auf dem pressfrischen "Diamonds Fall" (Rough Trade) auf seine klassischen Songwriterqualitäten.

Inklusive Mut zur großen Geste. Georg Howahl sprach mit ihm über filmische Vorbilder, das stille Verständnis der Generationen und die Wiederkehr des Totalitarismus.

Herr Boa, ich habe gerade einen Ihrer neuen Songs gehört, der klang funkig. Was ist da passiert?

Boa: Das ist "Fiat Topolino", bei dem Song dachte ich an den kürzlich verstorbenen Isaac Hayes und seine "Shaft"-Musik. Der Rhythmus war die Idee von Jaki Liebezeit, dem Can-Drummer, der diesmal bei mir am Schlagzeug sitzt. Und unser Producer Tobi dachte an den Soundtrack eines Tarantino-Films. Aber das ganze Album klingt nach Filmmusik, finde ich.

Woran liegt das?

Boa: Das war von Anfang an da, ich weiß nicht woher das kam. Schon beim ersten Song, "Valerian". Ich spielte eine alte Dobro-Gitare ein und plötzlich hatte ich dieses Lied. Wie bei Bob Dylan. Es klang wie ein Lied über Freundschaft. Ich dachte an einen Matrosen, der verreisen will. Er fragt seine Freundin oder seinen Freund: Zeig mir deine bedingungslose Freundschaft und komm mit. Ein Lied darüber, dass man zusammenhalten muss, gerade in diesen Zeiten.

Sind die Zeiten denn so schlimm?

Boa: Heute bewegen wir uns wieder in Richtung totalitäre Welt, aber niemand merkt das. Es gibt immer mehr Regeln und Verbote, man schaue sich nur die EU an. Das Irrationale, das das Leben eigentlich ausmacht, stört.

Sie stören sich also an den Konjunkturhilfen?

Boa: Milliarden werden in Banken und Konzerne gesteckt, die nicht damit umgehen können. Andererseits werden die Bürger immer mehr belastet. Das sind Signale, die auf einen neuen totalitären Staat hindeuten. Und dann kommen noch diese Shows, die das Volk immer mehr beruhigen sollen. "Deutschland sucht den Superstar" und das "Dschungelcamp", wo die Leute durch Schadenfreude ihre Wut abarbeiten sollen. Sie sollen stillhalten auf ihrer Couch.

Das klingt ja nach der berüchtigten alten Boa-Wut, von der man auf "Diamonds Fall" aber wenig hört . . .

Boa: Mein Album erwähnt diese Dinge nicht oberflächlich, man muss sich mit den Texten befassen, dann wird man feststellen, dass eine Menge Kritik enthalten ist. Aber die Songs sind nicht verbittert.

Bei "Lord Have Mercy With The 1-Eyed" beweisen Sie sogar Mut zur großen Geste . . .

Boa: Man kann diesen Song auch nur als warmes Liebeslied nehmen. Meine Fans haben es als Single ausgesucht. Ich persönlich hätte ein anderes genommen, "Valerian" oder vielleicht "Jane Wyman".

Jane Wyman, die Schauspielerin und Ex-Frau von Ronald Reagan?

Boa: Sie spielt eigentlich gar keine große Rolle in diesem Song. Ich habe in einem antiquarischen Keats-Buch Notizen, Kaugummikarten und Fotos von einer Frau aus den 50er Jahren gefunden, unter anderem auch ein Foto von Jane Wyman. Und ich habe durch dieses Buch viele Erkenntnisse über das romantische Denken dieses fremden Mädchens aus den 50ern bekommen, die damals 16 war. Sie ging auf eine Nonnenschule, das war spannend. Denn sie hat zugegeben, dass sie gegen diese Nonnengesetze bereits verstoßen hatte, als sie sich verliebt hatte. Das war total süß.

Ein zentraler Song trägt den Titel "60´s 70´s 80´s 90´s 10". Ist das eine Bestandsaufnahme der Popkultur bis heute?

Boa: Könnte man so sehen. Aber es ist viel einfacher. Ich habe bei unseren Konzerten beobachtet, dass vorn die ganz Jungen stehen. Und je weiter man nach hinten kommt, die Leute immer älter werden. Ich habe überlegt, dass auf meiner Platte mehrere Generationen spielen sollen. Der Gitarrist ist in den 20ern und der Drummer Jaki ist 70. Alle haben sie, ohne es zu wissen, dieselben Einflüsse, alles wurzelt in der Pop- und Rockmusik der 50er und 60er. Unser Gitarrist ist 21, der kennt gerade eine Band wie Muse - und die Beatles nur vom Namen her. Dabei haben die Beatles alles schon erzählt.

Bald sind wir die Kulturhauptstadt Ruhr. Da sollte Boa doch dabei sein, oder?

Boa: Ich glaube, die Leute, die das machen, wissen gar nicht, dass ich existiere. Und ehrlich: Ich habe da keine Lust drauf.

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