Rees-Haldern. Zwischen dem 22-jährigen britischen Chartstürmer Sam Smith und der 67-jährigen Punk-Oma Patti Smith liegen mehr als zwei Musikgenerationen. Die kommen auf dem 31. Haldern Pop-Festival in Rees nicht nur bestens miteinander aus, sondern arbeiten sogar zusammen.
Die Organisatoren des Haldern Pop Festivals haben ein echtes Näschen für Talente: In diesem Jahr wurden die britischen Überflieger Sam Smith und George Ezra verpflichtet, bevor sie ihre ersten Erfolge feierten. Allerdings: Ezra ("Budapest") musste eine Woche vorher passen. Angeblich wegen einer akuten Stimmbandentzündung. Wenige Tage später ließ er allerdings über soziale Netzwerke verbreiten, wie sehr er sich auf den Auftritt in Haldern freue. Sehr fragwürdig!
Dass die Absage nicht sonderlich ins Gewicht fiel, lag nicht nur an den vielen, guten Konzerten (insagesamt über 60), die an drei Tagen auf sieben verschiedenen Bühnen gespielt wurden. Auch der eilig für Ezra eingesprungene Ersatzmann Luke Sital-Singh, dessen Debütalbum "The Fire Inside" in diesen Tagen erscheint und dem Experten eine ähnliche Blitzkarriere wie Ezra zutrauen, konnte mit seiner wohligwarmen Stimme begeistern.
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Für eine Überraschung sorgte auch der "The Slow Show" aus Manchester. Die Folk-Rocker bestachen durch melancholische Melodien, schleppende Rhythmen und den markanten Bariton von Sänger Robert Goodwin. So könnte es klingen, wenn Leonard Cohen, Nick Cave und The National gemeinsam musizieren.
Schlammtanzen zur Soulcreme
Der erst 22-jährige Sam Smith dagegen spielte sowohl in der Dorfkirche als auch auf dem Festivalgelände. Obwohl der cremige Soul für Haldern fast schon zu poppig der Feldwege daher kommt, konnte der junge Herr Schmidt das Publikum ganz lässig im strömenden Regen zum Schlamm-Tanzen bringen.
Das schaffte auch Stephan Eicher. Der Schweizer sorgte für den Höhepunkt am ersten Festivaltag. Beginnend als akustisches Kammerkonzert im Halbkreis, steigerte der 53-Jährige langsam, aber stetig das Tempo. Nach über 30 Jahren holte Eicher mit einem Schmunzeln sogar "Eisbär" von Grauzone aus dem Gepäck.
Diesmal allerdings akustisch, im Bossanova-Gewand. Und die analogen Synthie-Sprengsel, die Stephan und sein Bruder Martin Eicher damals mit selbstgebastelten Oszillatoren ihres Vaters erzeugten, wurden durch Posaune und Geige ersetzt. Großartig.
Marschkapelle ohne Hemmungen
Wie auch der Klassiker "Papa Was A Rolling Stone", der durch "Des haut, des bas" schimmerte oder der Radiohit "Dejeuner en Paix". Sein Konzert beendete Eicher mit dem Berner Mundartchanson "Hemmige" im Stil einer Marschkapelle mitten im Publikum. Da hatte sogar der Platzregen am Freitagabend ein Einsehen und stellte für eine kurze Zeit die Tropfen ab.
Wer konnte, dampfte ins Spiegelzelt zu den wunderbar rotzigen "Black Lips" ab, die bereits über zehn Jahre zusammen sind, aber immer noch so herrlich spontan und schlampig auf den E-Gitarren schrammeln wie am ersten Tag. Alle anderen sahen in Gummistiefeln, Ostfriesennerzen, Plastikponchos oder sonstiger Funktionskleidung dem wunderbaren Veteranen Lee Fields samt "The Expressions" zu, deren gekonnte Soul-Versatzstücke nicht nur seit dem vergangen Jahr in Haldern begeistern
Schnörkelloser Schweinerock
Für den ersten Höhepunkt am Festivalsamstag sorgte die Band The Augustines aus Brooklyn/New York. Ihr schnörkelloser, stadiontauglicher Schweinerock holte die Zuschauer zum Feiern ab. Der Zuspruch zu früher Stunde überraschte die Band wohl selbst am meisten. An Ende standen Sänger Billy McCarthy ehrliche Tränen der Rührung in den Augen.
Freudentränen dürften auch die schwedischen Schwestern Klara und Johanna Söderberg alias First Aid Kit vergossen haben: Die Mädels mit dem unverschämten US-Südstaatenschmelz in der Stimme durften nicht nur ein prima Konzert spielen, sondern später auch noch den Sänger und Songschreiber Conor Oberst begleiten. Seit mehr als 15 Jahren gilt der 34-Jährige aus Omaha/Nebraska als einer der produktivsten amerikanischen Songschreiber, wovon etliche Veröffentlichungen in wechselnden Besetzungen zeugen. Allein: Ein Hit ist dabei noch nicht heraus gesprungen.
"What is simple in the moonlight, by the morning never is", singt er denn auch in Haldern treffend in einem seiner bekanntesten Werke "Lua". Deshalb ist es nicht wirklich mitreissend, aber durchaus beeindruckend, was Oberst, der bereits 2003 in am Niederrhein zu Gast war, aus den Verstärkerboxen zaubert.
Ein perfekter Tag
Was Conor Oberst fehlt, hat Patti Smith im Überfluss: Ausstrahlung. Auch wenn die musikalische Karriere der 67-Jährigen rückblickend betrachtet eher überschaubar blieb, als Galionsfigur der Späthippie/Frühpunk-Bewegung bleibt die Dame unschlagbar. Sie startet mit "Dancing Barefoot", nippt am Tee, beschwört den Weltfrieden, die Zukunft des Planeten und den Geist der verstorbenen Jerry Garcia und Johnny Winter, erzählt von Wanderungen durch die niederrheinischen Maisfelder und lädt mit großer Geste alle zum Mitsingen ein: "A Perfect Day" (Lou Reed).
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Auch die unschlagbar simple Akkordfolge aus H-moll, G- und A-Dur, die ihr einst Springsteen als "Because the Night" auf den knochigen Leib schrieb, wird vom Publikum ebenso zelebriert wie die bei Van Morrisson entliehene "Gloria".
Zwei Gitarrensaiten zerfetzt
Bei der Zugabe "Rock’n’Roll-Nigger" gesellt sich zu ihren Langzeit-Weggefährten Lenny Kaye und Jay Dee Daugherty auch noch der ehemalige Hüsker Dü-Schlagzeuger Grant Hart hinzu. Und die alte Frau Schmidt lässt sich die Fender Stratocaster reichen. Dass sie kaum spielen kann, hatte sie schon 1979 im Rockpalast vor einem Millionenpublikum unter Beweis gestellt. Macht aber nichts, denn mehr als eine gewaltige Lärmorgie, in deren Verlauf sie gleich zwei Gitarrensaiten zerfetzt, hat die große Schamanin sowieso nicht im Sinn. Am Ende weiß man nicht, ob man ehrlich ergriffen oder peinlich berührt sein soll. Oder beides. Trotzdem: fast ein würdiges Ende eines spannenden Festivals.