Duisburg. . Ob sie Musicals singen oder große Oper, ob sie als Comedy-Clowns auftrumpfen oder als große Tragödien. Zum Duisburger Stimmarzt Donald Becker pilgert mancher Prominente, wenn die Kehle krächzt. Auch Kinder therapiert der „Phoniater“, für den Stimm-Probleme nicht selten einfache Ursachen haben.

Ob Aida, „Starlight“-Lok oder Faust: Wenn Profis in NRW die Stimme wegbleibt, ist Dr. Donald Becker der Arzt ihrer Wahl. Der Mann ist „Phoniater“ und weiß, wie man zurück zum guten Ton findet. Beim Redaktionsbesuch sprach er aber auch über Politikerstimmen, dicke Sänger und Nachwuchssorgen in der Kunst.

Dürfen wir nach „Stimmenfang“ in der Politik fragen? Angeblich hat Maggie Thatcher vor ihrem ersten Wahlkampf die Stimme eine Lage tiefer trainiert. Müssen auch deutsche Frauen in der Politik Angst haben, mit ihren Tönen zu hoch für Wähler zu liegen?

Donald Becker: Ganz sicher. Da holt uns die Evolution ein. Die höhere Stimme der Frau ist für die Kindererziehung gut; höhere Frequenzen kommen bei Kindern besser an als tiefe. In der Politik ist eine sehr weibliche Stimme kein Vorteil.

„Frau Merkels Stimme geht fast in Richtung Priesterschaft“

Sieht man Frauen in der amerikanischen Öffentlichkeit, sprechen sie dennoch hoch, sehr weiblich...

Becker: Der Eindruck stimmt. Eine große, tiefe, dunkle und laute Frauenstimme kommt hier bei uns an, wir stehen da drauf. In Amerika spiegeln die Stimmen ein anderes Ideal, erst recht in Südostasien.

Frau Merkel gibt sich weniger Mühe, einem Klang-Ideal zu folgen.

Becker: Sie ist ein wunderbares Beispiel, dass Stimmklang und Dialekt den politischen Erfolg nicht dauerhaft begrenzen können. Franz-Josef Strauß hat mehr gespuckt als gesprochen, hatte damit aber nur in Bayern Erfolg. Im Ernst: Frau Merkel ist sehr intelligent. So setzt sie auch ihre Stimme ein: immer ruhig, immer gleichförmig, das geht fast in Richtung Priesterschaft.

Vor einer Vorstellung kann ein Sänger nichts essen

Warum sind gute Opernsänger dick? Manche Liebeszenen in Bayreuth sehen aus wie Fangenspielen bei den Weight Watchers.

Becker: Die meisten Opernsänger haben ganz normale Figuren, die dicken bleiben einfach stärker in Erinnerung. Aber klar ist: Vor einer Vorstellung kann ein Sänger kaum was essen – der würde spucken, wenn er singt. Dann futtert man danach, beruhigt sich damit. Da wird Adrenalin abgebaut. Das setzt nicht nur an, das kann der Stimme schaden.

Warum?

Becker: Spätes Essen fördert eindeutig den Reflux: Über Nacht steigt die Magensäure über die Speiseröhre hoch bis zum Kehlkopf. Das ist der Grund, warum viele Diven ziemlich früh aus dem aktiven Leben verschwunden sind: Die Stimme wurde weggeätzt. Es sind auffällig viele Südeuropäerinnen darunter, da gehört spätes Essen eben zur Kultur. Ist für die Stimme aber extrem kontraproduktiv.

Reflux kann die Stimme zerstören

Dann sind es gar nicht die berühmten Knötchen oder Hormone?

Becker: Es kann viele Gründe haben, zu mir kommen Sänger, aber auch Comedians oder Schauspieler. Bei denen bestätigt sich extrem häufig die Volkskrankheit „Reflux“. Mit einem Wandel der Lebensgewohnheiten kann man enorme Erfolge erzielen. Bei manchen genügt es schon, die Kuhmilch wegzulassen. Mich ärgern Kollegen, die gleich operieren wollen, es ist längst nicht immer nötig und birgt natürlich das Risiko einer Schädigung. Aber eine OP wird ordentlich bezahlt, eine Beratung, bei der man als Arzt lange und aufmerksam mit dem Patienten arbeiten muss, wird nicht vernünftig honoriert. Ich weiß, dass mich manche Kollegen mit leichtem Spott als „Papst des Refluxes“ sehen, meine Praxis bestätigt mich allerdings.

Wie belastend ist der Sängerberuf?

Becker: Enorm! Das ganz normale Leben passt eigentlich nicht zu dem, was von einem Opernsänger gefordert wird. Ein Sänger muss immer zu 100 Prozent Leistung bringen, aber zugleich ist er immer indisponiert. Für den Beruf muss man Egomane sein, es dreht sich alles um den einen wunderbaren Ton, den man treffen muss. Der Beruf ist schonungslos, vielleicht muss man da zur Diva werden.

Um den deutschen Sängernachwuchs macht er sich Sorgen

Wo sehen Sie den Nachwuchs?

Becker: Man muss fast sagen: welchen? Es sind sehr wenige, zu wenige. Die Stars auf den Opernbühnen stammen vorwiegend aus Osteuropa, auch Amerika hat die Belcanto-Tradition besser gehütet als Deutschland. Und wenn ich erst an Instrumentalisten denke: In China gibt es allein 80 Millionen Geigen-Schüler. Ich war in Düsseldorf Dozent an der Musikhochschule, da finden Sie heute fast keinen deutschen Klavierschüler mehr, lauter Koreaner, Chinesen. Ich bin kein Rassist, aber irgendwas stimmt da doch nicht. Ich denke manchmal an die viel gescholtene DDR, wie Kunst und Künstler dort als Handwerk und Beruf respektiert worden sind. Das haben wir aktuell nicht zu bieten.

Sie behandeln auch viele Kinder. Verändert sich etwas bei den Stimmen, es wird ja heute zum Beispiel kaum noch gesungen.

Becker: Die Stimme entwickelt sich auch ohne Singen, Kinder brüllen ja auf dem Schulhof herum. Aber Singen können Kinder kaum noch, weil in der Schule nicht mehr gesungen wird. Es gilt als peinlich. Selbersingen läuft geradewegs unter „albern“. Sehr schade.

ZUR PERSON:
Dr. Donald Becker
kam auf Umwegen zu seinem Fach. Erst lernte der Essener „Radio- und Fernsehtechniker“. Dann sattelte er um auf Medizin. Parallel dazu nahm er ein Gesangsstudium am Konservatorium der rheinischen Musikschule in Köln auf. Im Duisburger Malteser-Krankenhaus leitet er die Abteilung Phoniatrie/Pädaudiologie sowie das sozialpädiatrische Zentrum. Neben der Arbeit mit Sängern zählt die „pädaudiologische“ Behandlung von Kindern zu Beckers Schwerpunkten.