Gelsenkirchen. . Im Wissenschaftspark Gelsenkirchen sind die Neuaufnahmen im Pixelprojekt Ruhrgebiet zu besichtigen. Die Serien bieten eine Archäologie des Alltags und bewahren das bedrohte, vergangene und gerettete Revier auf. “Der Lauf der Dinge“ war früher besser aufzuhalten – heute verschont er nicht einmal Friedhöfe.

Das Besondere des Ruhrgebiets verschwindet mehr und mehr: die Backstein-Siedlungen und kriegsvernarbten Stadtbilder, die knorrig-herzwärmenden Menschen und die heimelige Möblierung ihres Feierabends zwischen Plüschkinosaal und Gartenkolonie. Wer es im täglichen Stadtbild noch nicht bemerkt hat, wird nun spätestens im Wissenschaftspark Gelsenkirchen drauf kommen: Die Serien von Revier-Fotos, die dort ausgestellt sind, widmen sich wie Archäologen des Alltags oft der bedrohten oder geretteten Vergangenheit, dem Abriss und der Bewahrung von Stadtvierteln.

Die wohl beeindruckendsten Serien stammen von Jörg Boström, der in den 70er-Jahren die Rettung der ältesten Revier-Arbeitersiedlung Oberhausen-Eisenheim fotografiert hat. Der andere Stadtteil, den Boström damals mit seinen vitalen, grundzufriedenen, vierschrötigen Menschen aus der Zeit porträtiert hat, als der Pott noch kochte, wird zurzeit weitgehend abgerissen: Duisburg-Bruckhausen. Und Guntram Walters aktuelle Serie, die er dort auf Nachtspaziergängen in Paparazzi-Manier fotografiert hat, sagt dem Stadtteil schon „Lebewohl!“

"Der Lauf der Dinge"

Das neue Ruhrgebiet zeigt sich in Jens Sundheims Serie „Von Ameisen und Sternkörpern“: klinisch kühle Quadrat-Formate mit gut gesehenen Strukturen und fein abgestimmten Farben. Doch dann hält Klaus U. Kasperszak fest, wie eine alte verfallende Zechensiedlung in Gladbeck fürsorglich, fast zärtlich von der Natur gefressen wird („Alter Mann“) – bevor dann bald ein Investor sie dem Erdboden gleichmacht.

Zur Ausstellung

Pixelprojekt Ruhrgebiet, Neuaufnahmen 2013/14. Wissenschaftspark Gelsenkirchen, Munscheidtstraße 14, 45886 Gelsenkirchen. Bis 8. November.

Geöffnet: Mo-Fr 6-19 Uhr, Sa 7.30-17 Uhr. Eintritt frei.

André Schuster wiederum zeigt in kühler Becher-Manier (wenn auch farbig) lauter hübsch, fast schon edel renovierte Zechenkolonie-Häuser. Ganz ohne Menschen. Andreas Secci hingegen hat mit der Kamera die schöne Seele der alten Kinosäle im Revier erspürt – und man sieht, dass gute Architektur ein Ausdruck menschlicher Wertschätzung ist.

Fast poetisch und zwinkernd zugleich kommt K. Roland Bergers Serie „Sommerresidenzen“ daher – leise Schrebergartenszenen im tief verschneiten Winter, die etwas von der Kraft der Laubenpieper-Ruhe spüren lassen und von ihrer Schönheit auch.

Ganz ähnlich kommen Ralf-Dieter Wewels Ansichten vom dicht bewaldeten Nordfriedhof in Gelsenkirchen daher, auf denen im Hintergrund immer irgendein Kühlturm oder ein Autobahnschild hindurchschimmert. Doch selbst dieses Stück Revier ist bedroht: Die letzte Beerdigung dort hat 1969 stattgefunden, seit 20 Jahren sind die Ruhefristen abgelaufen – und nun will ein Unternehmen dort seine Silo-Anlagen erweitern. Lakonischer Kommentar des Serientitels: „Der Lauf der Dinge“.

Pixelprojekt sammelt Fotoserien aus dem Revier

Bei den im Wissenschaftspark Gelsenkirchen ausgestellten Fotoserien handelt es sich um die aktuellen Neuaufnahmen beim Pixelprojekt Ruhrgebiet. Das sammelt seit 2003 Fotoserien aus dem Revier, die im Internet (www.pixelprojekt-ruhrgebiet) veröffentlicht werden. Im zurückliegenden Jahr haben sich 64 Fotografinnen und Fotografen aus ganz Deutschland mit 107 Fotoserien beworben, aufgenommen wurden 23 Fotoserien von 20 Fotografen. Das rund 8000 Bilder starke Pixelprojekt umfasst nun insgesamt 417 Fotoserien von 258 Fotografinnen und Fotografen.

Und immerhin gibt es im Revier auch noch die andere Art, mit der Vergänglichkeit und ihren Anzeichen umzugehen: „Skulptur des Augenblicks“ nennt Wolfgang Fröhling seine witzigen Schnappschüsse von abenteuerlich skurrilen Sperrmüll-Haufen.