Düsseldorf. Zugabe bitte: „Death in Venice“ nach Thomas Manns Novelle wurde an der Rheinoper bei der Premiere begeistert gefeiert. Der Zyklus von Regisseur Immo Karaman gilt als abgeschlossen, sollte aber vielleicht doch noch um Brittens „Sommernachtstraum“ ergänzt werden.
Neben den Tanz-Kreationen von Martin Schläpfer hinterlässt der Britten-Zyklus des Regisseurs Immo Karaman bis jetzt die stärksten Akzente an der Deutschen Oper am Rhein unter der Leitung von Intendant Christoph Meyer. Mit Brittens letztem Bühnenwerk, „Death in Venice“ nach der Novelle von Thomas Mann, gilt die erfolgreiche Serie nach denkwürdigen Produktionen von „Peter Grimes“, „Billy Budd“ und „The Turn of the Screw“ als abgeschlossen. Schade, dass damit der „Sommernachtsraum“ ausgespart bleibt.
Nach drei überaus bühnenwirksamen Stücken hat Immo Karaman mit der todesgetränkten Novellen-Adaption die härteste Nuss zu knacken. Die episch ausladende Erzählung vom Niedergang des alternden Dichters Gustav von Aschenbach, der sich von einer Reise nach Venedig schöpferische Impulse verspricht, dort aber an der Cholera und der unstillbaren Liebe nach einem Knaben zugrunde geht, bietet in ihrer dekadenten Lethargie keine idealen Voraussetzungen für ein effektives Bühnenstück.
Daran war der schwer kranke Komponist, der eine lebensnotwendige Herzoperation bis zum Abschluss der Komposition hinausschob, auch nicht mehr interessiert. Das Werk entfaltet sich wie ein fast dreistündiger innerer Monolog, in dem Britten so intime Einblicke in seine künstlerische und persönliche Gedanken- und Gefühlswelt erlaubt, dass es eher als Tagebuch denn als Theaterstück zu verstehen ist.
Britten begnügt sich mit einem relativ kleinen Orchester, das die Handlung zart kommentiert, und verzichtet auf dramatische Schlagkraft und klangliche Opulenz. Die Monologe Aschenbachs erinnern an Secco-Rezitative, sparsam vom Klavier begleitet. Lediglich die Erscheinung Tadzios taucht er in brillant glitzernde, exotisch gestrickte Töne. Dabei greift der Konflikt zwischen der nach apollinischer Schönheit strebenden Ästhetik Aschenbachs und dem sich in den Vordergrund drängenden dionysisch-sexuellen Trieb beim Anblick des schönen Jünglings Probleme auf, die Britten selbst nur zu gut kannte.
Ein Sonderlob verdient, wie schon in den vorherigen Britten-Projekten der Rheinoper, die musikalische Umsetzung. Lukas Beikircher betont mit strikter Konsequenz den episch-sanft fließenden Charakter der Musik und versucht in keinem Takt, den fast jenseitig abgeklärt anmutenden Tonfall effektvoll aufzuladen. Raymond Very, der schon in „Billy Budd“ hervorstach, überbietet sich in der Rolle Aschenbachs mit einer kaum zu übertreffenden Stimmkultur und einer wach phrasierenden, hochintelligenten Rollengestaltung. Viel besser vermochte selbst Brittens Lebenspartner und künstlerische Muse Peter Pears seinerzeit die Rolle nicht auszufüllen.
Großartig auch der Bariton Peter Savidge, der die sieben Todesallegorien vom Reisenden bis zum Straßensänger kongenial darstellt. Und die zahlreichen kleineren Rollen unterstreichen in ihrer hohen Qualität den ausgeprägten Ensemblegeist der Rheinoper. Denys Popovich, ein Schüler der Staatlichen Ballettschule Berlin, vermittelt als Tadzio die androgyne Attraktivität der stummen Rolle.
Wie der Dirigent sucht auch Immo Karaman nicht nach äußeren Effekten, sondern stellt mit Feingefühl und handwerklichem Können die seelischen Verwicklungen der Hauptrolle dar. Dabei bleibt die Handlung stets in einem mehr oder weniger beengten Raum gefangen. Teils in einer winzigen Kammer, teils in einer luxuriösen Hotel-Lobby. Nur eins ist nicht zu sehen: Das Meer. Das könnte den einsamen Tod des Dichters verwässern und ihm eine Größe geben, die der erbärmlichen Situation des Künstlers nicht entspräche. Karaman und seinem Bühnenbildner Konrad Zwimpfer gelingt das Kunststück, das innere Elend packend zu vermitteln, ohne die Handlung auf eine Müllhalde oder einen schäbigen Hinterhof zu verlagern. Die Würde wird Aschenbach nicht genommen.
Die Personenführung feilt Karaman so detailgenau aus, dass sie wie eine Choreografie wirkt. Immer wieder erstarren die Figuren, auch der ungemein filigran geführte Chor, in künstlichen Posen zu lebenden Bildern. Und die polnische Familie Tadzios bewegt sich ohnehin nur in tänzerischen Arrangements (Choreografie: Fabian Posca).
Ein schöner, wenn auch anstrengender Abend, zugleich ein Höhepunkt der sich dem Ende zuneigenden, nicht immer glücklich verlaufenen Saison der Rheinoper. Das Publikum reagierte so begeistert wie in den drei früheren Britten-Produktionen des Teams. Vielleicht lässt sich der Zyklus vielleicht doch noch ausbauen. Britten, das Publikum und die Rheinoper hätten es verdient.
Die nächsten Aufführungen im Düsseldorfer Opernhaus: am 18., 20., 22. und 29. Juni. Im Theater Duisburg am 4. und 6. Juli. Infos: www.operamrhein.de.