Xanten. Was haben die alten Römer mit der “Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts zu tun? Dieser Frage geht die Ausstellung “An den Grenzen des Reichs“ im Römermuseum Xanten nach. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutete demnach nicht nur eine Zäsur in Kunst und Kultur, sondern auch in der Archäologie.

Es war der 2. August 1914. Einen Tag nach der Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Russland legten die Arbeiter auf dem Grabungsgebiet des einstigen römischen Legionslagers Vetera bei Xanten ihre Hacken und Spaten beiseite. Die seit neun Jahren laufenden Ausgrabungen endeten abrupt von einem Tag auf den anderen. Die Arbeiter wurden mit Säbeln und Gewehren ausgerüstet. Am 3. August erklärte Deutschland Frankreich den Krieg. Der Rhein, der in der Antike die Grenze zwischen dem römischen Imperium und Germanien markierte, wurde nun als Grenze zum Feindesland Frankreich gesehen.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutete nicht nur eine Zäsur in der Kunst und Kultur, sondern auch in der Archäologie. Eine Ausstellung im Römermuseum Xanten wirft ein Schlaglicht auf die politische Bedeutung der Archäologie am Vorabend des Ersten Weltkriegs. "An den Grenzen des Reichs" (16.5.-7.09.) ist Teil der Ausstellungsreihe "1914 - Mitten in Europa" des Landschaftsverbands Rheinland und zeigt kritisch, wie das Bild vom Freiheitskampf der Germanen mit nationalem Pathos aufgeladen wurde. Politik und Kultur übertrugen den antiken Konflikt zwischen Römern und Germanen auf den Krieg zwischen Franzosen und Deutschen.

Die wilhelminische Zeit war geprägt von großer Begeisterung für Ausgrabungen. Kaiser Wilhelm II. war selber ein Archäologie-Fan und gab der Altertumsforschung einen Schub. Über den Stand der Grabungsarbeiten in Vetera ließ er sich regelmäßig unterrichten. Denn Vetera war vor rund 2000 Jahren mit rund 10.000 Soldaten das größte Standlager des römischen Imperiums und damit ein zentraler Schauplatz römischer Machtausübung.

Eine "schizophrene Situation"

Auch der deutsche Kaiser verzichtete nicht wie einst Napoleon auf antike römische Insignien der Macht, etwa den Adler, der unter anderem auf einem messingglänzenden wilhelminischen Paradehelm sitzt. 1900 zog Wilhelm II. sogar Parallelen zwischen Rom und Deutschland und rief in Abkehr zur Bismarck-Politik die Deutschen zur Formierung eines Weltreichs nach Vorbild des Imperiums auf.

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Die Xantener Museumsleiterin Charlotte Schreiter spricht von einer "schizophrenen Situation": Einerseits habe man im wilhelminischen Kaiserreich die Römer für ihre effiziente Verwaltung und Disziplin bewundert, andererseits aber auch die Germanen für ihren Freiheitswillen. Das Problem war, dass die bei Ausgrabungen zutage geförderten germanischen Objekte zwar von Kampfeswut zeugten, aber nicht von Hochkultur. Daher wurde der grauen germanischen Geschichte mit Klischees Farbe verpasst.

So sind in Xanten nicht nur Gipsskulpturen muskulöser und in Fantasie-Lederkluft gekleideter "idealer" Römer zu sehen, die in Museen ausgestellt wurden, sondern auch kitschige Schulwandbilder von einem romantischen und ökologisch einwandfreiem Germanenleben. In einer Kampfszene der Varusschlacht verliert ein verängstigter Römer die Adlerstandarte des Kaisers. Denn auch von Vetera zogen die Legionen in den Untergang im Teutoburger Wald.

Neue Funde beim Ausheben der Schützengräben

Zwei überlebensgroße Holzskulpturen von germanischen Kriegern mit Flügelhelm und Fellumhang, die am Eingang eines Wanderkinos standen, zeugen davon, wie sich im frühen 20. Jahrhundert Stereotypen immer weiter festsetzten. Der Flügelhelm ist historisch zwar überhaupt nicht belegt, diente aber von Wagner bis Asterix als "typisch germanische Kopfbedeckung".

Sogar im Schlamm der Schützengräben sollten die Soldaten im Angesicht des Todes angeblich noch an Altertumsfunde denken. Der damalige Direktor des Provinzialmuseums Bonn, Hans Lehner, sprach 1916 in einem Vortrag zwar von der "schmerzlichen Notwendigkeit", dass der Krieg die wissenschaftlichen Beziehungen zu den westlichen Nachbarn unterbrochen habe.

"Umso erfreulicher" sei es, dass die Soldaten auf dem Schlachtfeld "neben ihrer aufreibenden und gefahrvollen Tätigkeit noch Zeit und Lust finden, sich um die archäologischen Verhältnisse der näheren und ferneren Umgebung ihrer Stellungen zu bekümmern". Sogar beim Ausheben der Schützengräben würden neue Funde gemacht, sagte Lehner, "so dass sich für uns allmählich eine ganz neue, höchst anziehende Tätigkeit entwickelt hat: das Sichten und Bestimmen archäologischer Funde von der Front." (dpa)