Essen. Vor 450 Jahren wurde William Shakespeare geboren. Sein überaus buntes Nachleben durchdringt noch die letzten Winkel der Popkultur, bis hin zu Star Wars und den Simpsons. Was macht den britischen Dichter und Dramatiker so gegenwärtig – und so populär?

Er trägt eine weiße Halskrause, ein grünes Gewand mit Goldknöpfen und einen Totenschädel in der linken Plastikhand. „Bauen – oder nicht bauen“, das ist für diesen Schauspieler „gar keine Frage“. Am 26. April 1564 wurde William Shakespeare in Stratford-upon-Avon geboren. 450 Jahre später geht sein Hamlet als Lego-Figürchen in Serie; und vermutlich hätte das dem großen Volksbelustiger sogar gut gefallen. Wenn die ganze Welt Bühne ist, schließt das die Kinderzimmer ein.

Shakespeares Stücke unterhielten, im Vergnügungsviertel vor den Toren Londons, ebenfalls Jung und Alt, Schlau und Schlicht. Sie sprachen jeden Zuschauer an, auf unterschiedlichen Ebenen; Shakespeare, dessen Wortschatz auf 17 750 Wörter beziffert wurde, beherrschte noch den niedersten Gossenslang – und eine urwüchsig scheinende Dramatik, die doch wohl durchdacht war.

Ab ins All mit Captain Picard

38 Dramen, sechs epische Versdichtungen und 54 Sonette sind Fundament des Ruhms. Die erste, als „First Folio“ bekannte Werkausgabe erschien erst 1623, sieben Jahre nach Shakespeares Tod. Von den damals gedruckten 750 Exemplaren sind 14 in unversehrtem Zustand erhalten. Eines gehört zum Bestand der Kölner Stadtbibliothek und wird zum Jubiläum im Museum für Angewandte Kunst (www.mak.de) noch bis Juni präsentiert: „A Party for Will!“ heißt die Spurensuche eines ausgesprochen bunten Nachlebens.

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Shakespeare fürs Volk, den gibt es heute von Kenneth Branagh bis hin zu den Simpsons – Marge als Lady Macbeth! Und dass der Brite eine Zukunft hat, wissen wir aus Star Trek: Da fliegt die Werkausgabe auf Captain Picards Nachttischlein mit durchs All.

Der meistgespielte, meistverfilmte terrestrische Dramatiker führte und führt der Welt vor Augen, was Menschsein heißt – und vor allem darin begründet sich seine schier unschlagbare Modernität. Die Fesseln der Eifersucht (Othello), die Plage der Rache (Hamlet), die elementare Kraft der Liebe (Romeo & Julia, Ein Sommernachtstraum) vermochte Shakespeare in Figuren zu gießen, die uns heute Archetypen sind. Von seinen Zeitgenossen unterschied ihn, dass er seine Charaktere so vielschichtig und widersprüchlich anlegte, wie seine Zuschauer dort draußen durchs Leben gingen.

In Fragen der Moral enthielt er sich, den Zeigefinger ließ er unten. „Es gibt nichts Gutes oder Böses, als was unser Denken dazu gemacht“, heißt es im Hamlet. Shakespeare stellt Fragen, das ja – aber die Antworten liefert er nicht. Seine Weltsicht ist nicht festgelegt, nicht zeittypisch, vielleicht nicht einmal very british. George Tabori nannte Shakespeare den „unenglischsten“ aller Dichter, „voll griechischen Wahns, russischer Qualen, deutscher (Un-)Tiefen und aller möglichen Spielarten kontinentaler Lüsternheiten“.

Angela Winkler als Hamlet

Selbst die Geschlechterrollen waren ja wunderbar wandelbar. Die Tatsache, dass einst im „Globe“ auch die Frauenrollen von Männern gespielt wurden (werden mussten), gab folgenden Theatergenerationen Gelegenheit zur Geschlechterspielerei – so zeigt die Kölner Schau den Hamlet in vielerlei weiblicher Gestalt, von Sarah Bernhardt (1899) bis Angela Winkler (1999).

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Fair is foul and foul is fair – und Shakespeare ist vielleicht gar nicht Shakespeare. Oder? Paradoxerweise war es gerade der Kult um Shakespeare, der seinen eigentlichen Gegenstand, den Dichter, als zweifelhaft scheinen ließ. Rund 200 Jahre nach Shakespeares Geburt markierte eine Feier in Stratford, ausgerichtet von Schauspieler David Garrick, den Beginn der Shakespearemanie. Hier wurde ein „Stern der schönsten Höhe“ (so Goethe) geboren, dessen zarte Anfänge von zeitgenössischen Künstlern in bibelähnlichen Szenen ausgemalt wurden. Diese Vergöttlichung über jedes menschliche Maß hinaus aber warf erst die Frage auf, ob der derart Glorifizierte denn wirklich als Niemand zur Welt kam? Ob ein Einzelner in der Lage war, Shakespeares Werk zu schaffen, all die 1222 Figuren darin, all den Kummer, all die Liebe?

Die Wissenschaft meint: ja. Und warum auch nicht. Noch einmal Hamlet, ohne Lego: „Welch Meisterwerk ist doch der Mensch, wie groß an Vernunft, wie unbegrenzt an Fähigkeiten… im Tun wie gleich einem Engel, im Begreifen wie gleich einem Gott.“ Shakespeare, das ist auch ein Spiegel – der uns zeigt, wer wir sein könnten.