Verona. . Tausende Menschen schreiben jährlich an Shakespeares Julia aus dem Drama “Romeo und Julia“ - und erhalten sogar Antworten. 14 Veroneserinnen beantworten die Post. Ehrenamtlich. Und mit Leidenschaft.

Verliebte. Romantiker. Tagebuchschreiber. Einsame. Sie alle tun es, schreiben einen Brief an Julia - Verona - Italia. An jene Julia, die Shakespeare mit "Romeo und Julia" unsterblich gemacht hat. Diese Briefe kommen nicht nur an: Sie werden sogar beantwortet - ganz individuell.

Sie holt mich ab. Im "Hotel Giulietta e Romeo", ein paar Schritte von der Arena di Verona entfernt. Sie heißt nicht Julia, sondern Manuela Uber, 41 Jahre alt, Fremdenführerin für Verona. Ihr Hobby: Julia spielen, nicht auf der Bühne, sondern im wahren Leben. Manuela gehört zu den 14 Veroneserinnen, die ehrenamtlich jene 7000 Anfragen an Shakespeares Julia beantworten.

Manuela, eine von 14 Veroneserinnen

Auch interessant

Von DerWesten

"Er ist an allem Schuld", erklärt Manuela und deutet auf eine Bronze-Büste an der Portini de la Bra. William Shakespeare schrieb mit "Romeo und Julia" die berühmteste Liebesgeschichte der Welt. Sie war so möglich, sie ist glaubhaft, aber sie ist nicht bewiesen. "Für die meisten sind die Briefe an Julia wie ein Tagebucheintrag. Viele reflektieren und erwarten gar keine Antwort. Und dennoch schreiben wir zurück. Der Mythos soll leben." Manchmal, bei komplizierten Anfragen, wenn es um Rassen-, Religions- oder soziale Konflikte geht, schläft Manuela auch mal eine Nacht darüber, ehe sie antwortet. "Einmal ist einer sogar ins Kloster gegangen, weil er seine Liebe des Lebens nicht bekam."

Eine Menschentraube deutet an: Romeos Domizil ist erreicht. "Das Backsteinhaus mit Turm zeigt, dass Romeos Familie mächtig und reich war", sagt Manuela. Die Montecchis waren Anhänger der Kaiser-Partei, während Julias Familie Cappelletti zu den Papst-Anhängern zählten. Eine Konstellation, die eine Liebe zwischen Julia und Romeo nicht zuließ. "90 Prozent der Briefeschreiber haben Liebesprobleme, zehn Prozent verleihen ihrem Glück Ausdruck. Zur Hälfte sind es junge Leute zwischen 16 und 25, aber auch 70-Jährige schreiben uns", sagt Manuela. "Es geht wirklich um alles, was sich irgendwie um die Liebe dreht."

Die Vias Cappello und der Hof

Susan aus Schottland wollte wissen, ob romantische Liebe in einem kühlen Klima überhaupt möglich sei. Graziella aus Mailand meinte zum Valentinstag, dass sie nun schon 50 Jahre alt sei und immer noch keinen Romeo gefunden habe. Und auch ich habe Julia geschrieben, um zu sehen, ob, wann und was Julia denn antwortet. Manuela ist sofort neugierig, aber die Menschenmasse nimmt uns in der Toreinfahrt in der Via Cappello gefangen. Rechts und links schreiben Menschen jeden Alters und Geschlechts Liebesbotschaften an die Wände. Als ob man in einen Fischschwarm geraten ist, wird jeder in den Hof gedrängt, wo Julias Statue steht und ihr Balkon zu bewundern ist. Die wenigstens küssen sich in Julias Hof oder schwören sich ewige Liebe, aber alle strahlen Freude aus. Bis auf Goethe, der soll bei seiner Italienische Reise schwer enttäuscht gewesen sein.

Julias Bronzestatue gibt's seit 1972. Die rechte Brust ist glatt poliert. Beinahe jeder Besucher grapscht sie ungeniert an. Denn wer das tut, dem wird die Liebe ewig hold bleiben. Sagt man. Woher das kommt, weiß niemand. Der Balkon ist zwar aus dem 13. Jahrhundert, wie das Cappelletti-Haus auch, nur hatte das ursprünglich keinen Balkon. Den hat Shakespeare ja nur erfunden, wie letztlich zwei Drittel der tragischen Geschichte, die 414 Jahre später zu einer Besucher anziehenden und Geld spuckenden Komödie wurde. Unter Julias Balkon, ein Sarkophag, den der Leiter der Veroneser Museen erst 1935 bei Renovierungsarbeiten anbringen ließ, wird deutlich, dass alle diese Geschichte, so kitschig sie zuweilen auch vermarktet wird, lieben und den Mythos pflegen.

Warum die Briefe beantwortet werden

Manuela stellt im "Club de Giulietta" Julio Tamassia vor. Der 77-Jährige ist Präsident des Clubs und erzählt von den Anfängen. Seit 1937, zwei Jahre nach dem Bau des Julia-Balkons, gingen erstmals Briefe an Julia - Verona - Italia ein. Ein Romeo namens Ettore Solimani beantwortete sie in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. "Um 1970 gründete ich dann mit ein paar Veronesi einen Julia-Club, weil uns der Mythos interessierte", sagt il Presidente. "Und 15 Jahre später fragte der Kulturreferent der Stadt, ob wir die unzähligen Julia-Briefe denn nicht wieder beantworten wollten wie einst Ettore". Inzwischen sind es mehr als 120.000 aus aller Welt. "Neuerdings haben wir als Verstärkung für unsere Julias auch wieder einen Romeo, einen jungen Mann aus Nigeria, der in Verona lebt, und seit sieben Jahren als einzige externe Julia unsere Olga in Moskau, denn keiner von uns spricht Russisch".

"Die Welt braucht die Liebe!", sagt Manuela. "Auch wenn sie im Tod mündet". Wir stehen vor dem vermeintlichen Grab von Julia,

etwas außerhalb des Stadtkerns. Dort wurden die ersten Nachrichten an Julia gefunden. Dort wurden Julia-Rituale abgehalten. Und dort kann man heutzutage heiraten. Was denn jetzt mit meinem Brief an Julia sei? "Ok", antworte ich, "meine Geschichte erzähle ich beim Mittagessen - in der ‚Osteria Giulietta e Romeo', nicht weit von hier ..."