Essen. . Liebens- und lesenswert, trotz des vielen Leids, das den Menschen darin widerfährt: Der neue Roman des deutschen Melancholie-Meisters Thommie Bayer „Die kurzen und die langen Jahre“ erzählt die Geschichte eines Sohnes, dessen Wunsch erfüllt wird, dass sein Vater sterben möge. Und der so die Liebe findet.

Ein Jahr hat 365 Tage. Und doch scheinen manche dahinzufliegen, während andere einfach nicht enden wollen. Auch im Leben von Simon Stiller gibt es „Die kurzen und die langen Jahre“, so der Titel des neuen Romans von Thommie Bayer. Der Autor steigt 1964 ein: „Als das Wünschen noch half“, so lässt er Simon erzählen, „war ich zwölf und wollte, dass mein Vater stirbt.“

Der Wunsch wird ihm erfüllt. Zehn Jahre später wird sein scheinbar gefühlskalter Vater ermordet. Zusammen mit dessen Liebhaber, der ebenfalls verheiratet war. Simon lernt eher zufällig die Ehefrau kennen – und lieben: Sylvie. „Wieder schwiegen wir, sie gelassen und ich durcheinander, weil mir Gedanken durch den Kopf rasten, die ich nicht festhalten konnte.“ Sylvie lässt Simon nicht mehr los. Er wird sie ein Leben lang begleiten, sie wird ihm viele Briefe schreiben, aber so nah sie sich fühlen, sie scheinen sich niemals nahe zu kommen.

Liebestanz zwischen Nähe und Distanz

Erneut stellt der Autor und Liedermacher Thommie Bayer mit dem Klavierstimmer Simon Stiller einen Mann in den Mittelpunkt, dessen Herz zwar für die Musik schlägt, der aber niemals die erste Geige spielen wird. Sowohl im Konzertsaal als auch bei den Frauen. Er erzählt vom gelebten und verpassten Leben und taucht die Geschichte in die für ihn typische Melancholie.

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Die Schwere ist jedoch nicht erdrückend, mit Leichtigkeit erzählt Bayer vom Liebestanz zwischen Nähe und Distanz. Dabei zeigt der Süddeutsche wieder sein feines Gespür für das Zwischenmenschliche. Gab er in früheren Büchern auch gerne amourösen Abenteuern ihren Raum, erzählt er nun von einer Liebe, die eher einer Seelenverwandtschaft gleicht.

Hier und da trägt Bayer allerdings zu dick auf und fügt seinen Figuren so viel Leid zu, dass es kaum in zwei Menschenleben passt. Er erfindet Morde und menschliche Verluste und dann auch noch eine Entführung. Der neue Roman fesselt nicht so sehr wie die Vorgänger: „Vier Arten, die Liebe zu vergessen“ und „Fallers große Liebe“. Und doch ist auch dieses Buch über zwei Menschen, für die der richtige Zeitpunkt nie da zu sein scheint, wieder liebens- und lesenswert.

  • Thommie Bayer: Die kurzen und die langen Jahre. Piper, 208 S., 17,99 Euro.