Essen. . Frank Schätzing hat als Autor kein Problem mit Spekulationen. Um sein jüngstes Werk „Breaking News“ hat er eine fast wahnwitzige Story um den Schlaganfall Ariel Scharons gedrechselt. Ein Interview mit dem 56-jährigen Bestseller-Autor.

Er arbeitete als Kreativer in der Werbebranche, schrieb Köln-Krimis und dann einen Wissenschafts-Thriller: „Der Schwarm“ machte Frank Schätzing 2004 zum Star der Bücherwelt. In dieser Woche erscheint der neue Roman „Breaking News“. Startauflage: 500 000 Exemplare, Thema: Israel, Ariel Scharon und die Geheimdienste. Britta Heidemann sprach mit dem 56-Jährigen.

Herr Schätzing, im Januar ist Ariel Scharon gestorben – wo und wie hat diese Nachricht Sie erreicht?

Frank Schätzing: Beim Kochen mit Freunden. Mein Verleger rief mich an. Mir muss wohl eine gewisse Betroffenheit im Gesicht gestanden haben, weil hinterher alle besorgt fragten, ob was passiert sei. Und da lag es mir auf der Zunge zu sagen, ein guter Bekannter ist gestorben. Ich kannte Scharon ja nicht, aber wenn man sich zwei Jahre intensiv mit dem Leben einer Person beschäftigt, kommt man ihr verdammt nah.

In Ihrem neuen Roman spielt der ehemalige israelische Ministerpräsident eine zentrale Rolle. Wie nähert man sich einer historischen Figur, die jeder zu kennen glaubt?

Schätzing: Alle verfügbaren Bücher und Artikel lesen, jeden Schnipsel Film gucken. Nach Israel fahren, Leute treffen, die Scharon persönlich gekannt haben, mit ihm aufgewachsen sind, ihn privat und in seinem politischen Leben begleitet haben. Versuchen, sich in seine Gedankenwelt zu versetzen, ohne der Gefahr zu erliegen, Standpunkte einfach zu übernehmen. Empathie aufbauen, dennoch Distanz wahren. Viel Falafel mit Tahini-Sauce essen. Scharons Leibspeise.

Gab es jemanden aus dem näheren Umfeld, der Ihnen über den Menschen Scharon Auskunft geben konnte?

Schätzing: Dror Moreh vor allem, der israelische Regisseur, der vergangenes Jahr mit „The Gatekeepers“, seinem Film über den israelischen Inlandsgeheimdienst, für den Oscar nominiert war. Dror kannte Scharon gut. Er hat eine beeindruckende Dokumentation über ihn gedreht.

„Ich habe keine Belege“

Im Roman erzählen Sie eine geradezu wahnwitzige Story: Scharons Koma könne durch einen Anschlag verursacht worden sein – wir wollen nicht verraten, wie, um die Spannung nicht zu zerstören. Halten Sie selbst diese These für plausibel?

Schätzing: Vorweg, ich habe keine Belege, es ist pure Spekulation. Aber wie die Fakten damals lagen, hätte es durchaus so gewesen sein können. Israel leidet immer noch am Trauma des Rabin-Mordes, und die radikalen Ränder haben sich über die Jahre eher verhärtet. Das Land ist tief gespalten. Das Szenario in „Breaking News“ warnt insofern auch vor dem, was da noch kommen könnte, wenn Israel seine Spaltung nicht überwindet. Der Frieden im Nahen Osten beginnt in den Gesellschaften selbst, auf palästinensischer wie israelischer Seite.

Bislang waren Sie bekannt als Autor, der sich in und mit seinen Büchern für Umweltthemen engagiert. Nun haben Sie sich in die historischen Tiefen Israels und des Nahen Ostens begeben – wie kam es dazu?

Schätzing: Ich war eigentlich nie auf Umweltthemen festgelegt, das ergab sich so. Zuvor habe ich übers Mittelalter geschrieben, „Lautlos“ ist ein Politthriller über den Kosovo-Konflikt, mich interessieren Themensprünge. Ich versuche nicht zwanghaft, die Fortsetzung zum „Schwarm“ zu schreiben, so funktioniert das bei mir nicht. Ich suche auch nicht nach Ideen. Die finden mich. Plötzlich plumpst eine aus dem Himmel. Diesmal war ein Frühstück mit Freunden der Auslöser. Es ging um Nahost, um den Konflikt. Ich sagte, der letzte, dem ich eine Lösung zugetraut hätte, wäre Scharon gewesen, und plopp – kam mir diese Verschwörungsidee, und ich dachte: das isses! Ein Thema muss mich spontan faszinieren. Im Allgemeinen sind das dann Dinge, über die ich nie zuvor geschrieben habe.

Beeindruckende Vielschichtigkeit der Gesellschaft Israels 

Was hat Sie bei Ihren Recherchereisen durch Israel am meisten beeindruckt?

Schätzing: Die Vielschichtigkeit der israelischen Gesellschaft. Wir scheren Gesellschaften hier allzu oft über einen Kamm. Sogar irgendwie verständlich. Die Medien können nur ein eingeengtes Bild vermitteln, also reduzieren wie Konflikte auf ein Gegeneinander der Systeme. Dann fährt man in so ein Land und sieht: Systeme sind bloße Konstrukte. Es gibt nur Menschen, jeder hat seine Geschichte und Sichtweise. Ich habe in Israel die unterschiedlichsten Menschen kennengelernt, und praktisch in jede Sichtweise kann man sich hineinversetzen.

Im Buch beschreiben Sie religiösen Fanatismus, aber auch überraschende Freundschaften und Allianzen zwischen jüdischen Siedlern und ihren muslimischen Nachbarn. Haben Sie selbst das so erlebt?

Schätzing: Ich dachte mir schon, dass es so was geben muss, aber das Ausmaß vor Ort hat mich dann doch überrascht. Man sieht einfach, die Mehrheit will in guter Nachbarschaft miteinander leben. Interessant war mein Besuch in Efrat, einer israelischen Siedlung in der Westbank. Bei einem Rabbi und seiner Familie. Die Siedlung liegt auf einem Hügel, gegenüber ist eine arabische Ortschaft. Was wir hier so mitbekommen, ist, dass die einander bestenfalls ignorieren oder aber sich gegenseitig das Leben schwer machen. Dann erzählt mir der Rabbi, wie die Efrater und die aus dem arabischen Dorf gemeinsam dafür gekämpft haben, dass der ursprünglich geplante Verlauf des Trennzauns, der zwischen beiden Ortschaften hindurch laufen sollte, geändert wird. Sie wollten keine Trennung. Die Araber haben die Israelis während der zweiten Intifada vor Terroraktionen gewarnt, die Israelis unterstützen ihre Nachbarn mit medizinischer Hilfe. Was nichts daran ändert, dass das Siedlungsabenteuer ein Irrweg war und ist, trotzdem bemerkenswert. Selbst da, wo man Hass erwarten sollte, findet man oft Freundschaft.

Auch bei Journalisten trennt sich die Spreu vom Weizen

Wenn Sie den Palästinensern und Israelis einen Satz ins Herz schreiben könnten – wie würde er lauten?

Schätzing: Schickt eure Hardliner in die Wüste. Ihr habt ja eine vor der Haustür.

In der Figur des Journalisten Tom Hagen zeigen Sie, wie ein Kriegsreporter psychisch deformiert wird, bis er in moralischen Fragen jede Urteilskraft verliert – auch unter dem Druck der Heimatredaktion, ständig Spektakuläres zu liefern. Müssen wir über heutige Kriegsberichterstattung neu nachdenken?

Schätzing: Erst mal muss man den Hut ziehen vor Journalisten, die sich in Lebensgefahr begeben, um der Welt Bilder aus Krisenregionen zugänglich zu machen. Das Problem ist eher, dass auch sie nur Ausschnitte zeigen können, und hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Bemüht sich der Krisenjournalismus um größtmögliche Ausgewogenheit? Oder verfällt er dem Reiz, immer nur das Spektakuläre zu zeigen? Denn dass Journalisten – übrigens auch Schriftsteller – kaum eine andere Wahl haben, als die Wirklichkeit durch die bloße Unmöglichkeit, sie lückenlos abzubilden, verzerren, steht außer Frage. Und je mehr Information auf uns einprasselt, desto größer ist die Gefahr der verzerrten Wahrnehmung. Natürlich müssen sich die Medien mit der Frage auseinandersetzen, was in den Köpfen von Menschen passiert, die täglich in den Abendnachrichten einen kompletten Planeten frei Haus geliefert bekommen. Aber mindestens ebenso viel zur Verbesserung der Situation können eben diese Konsumenten bewirken, wenn sie sich nicht länger von den Abendnachrichten berieseln lassen, sondern bewusst Information abrufen, Quellen und Sichtweisen vergleichen. Da hilft vor allem das Internet.

Sie sind im Roman tief eingetaucht auch in die Arbeit und die Strukturen von Geheimdiensten – hat Sie die NSA-Affäre eigentlich überrascht?

Schätzing: Nein. Mich hat eher überrascht, dass alle sich so erschrocken die Augen rieben. Und machen wir uns nichts vor: Im Augenblick stehen die Amerikaner am Pranger, aber was das Abhören des lieben Nachbarn angeht, tun sich die Geheimdienste dieser Welt nicht viel. Ich denke, das kann der BND auch ganz gut.