Essen. . Es geht um die dünne Haut der Zivilisation und die Dickfelligkeit saturierter Bürger: Mosebachs neuer Roman schlägt eine Brücke von Frankfurt ins Bosnien der Balkankriege. Im Mittelpunkt: Die Putzfrau Ivana und deren diverse Kunden vom Hochstapler bis zur Karrieristin. Und am Ende hat fast jeder mit jeder geschlafen.
Man kann darüber streiten, ob Martin Mosebach ein Antidemokrat ist oder nur damit kokettiert, zumal er sich ja selbst einen „Reaktionär“ nennt. Doch über eins kann man nicht streiten: Dass ihm mit dem neuen „Blutbuchenfest“ ein großartiger Roman gelungen ist. Figuren- und gedankenprall umkreist und durchdringt er den Ausbruch der Balkankriege zu Beginn der 90er-Jahre; elegant beschreibt Mosebach die Haut schöner Frauen und die Niedertracht des bürgerlichen Alltags.
Der Roman, dessen grandios verknüpfte Fäden bei der bosnischen Putzfrau Ivana zusammenlaufen, spielt in Frankfurt. Ivanas Kunden sind Frauen mit mörderischen Ellenbogen und nichtsnutzige Banker, es sind Hochstapler wie Wereschnikow, der mit seinen Beziehungen zu den Großen dieser Welt prahlt und einen Kongress über die Menschenwürde auf dem Balkan plant, oder der Pleitier Rotzoff, der hofft, mit den Eintrittsgeldern zum großen Fest im Garten des Bankvorstandes namens „Herr Doktor Glück“ aller Schulden ledig zu werden. Irgendwann hat fast jeder mit jeder geschlafen, und nichts ist gut, es tun nur alle so.
Löcher in der dünnen Haut der Zivilisation
Ein zweitrangiger Kunsthistoriker erzählt als Ich von sich und seiner Welt, aber wir lesen auch viele Dinge, die er nicht wissen kann, darf, soll. Über solche Brüche, die ein zuverlässiger Spiegel unserer Wahrnehmung von Gesellschaftspanoramen sind, gleitet die Sprache Mosebachs geschmeidig hinweg – bis die Erzählung durch Ivana beim Blutbuchenfest in Bosnien landet: Hier macht sich brutale Archaik breit, Nachbarn belauern einander, allzeit bereit zum blutigen Schlagabtausch.
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Der Roman markiert die Handlungsunfähigkeit des Westens angesichts der tiefen Risse und monströsen Löcher in der dünnen Haut der Zivilisation, die sich im Bosnienkrieg aufgetan haben, als Dekadenz, als Folge von saturierter Selbstgenügsamkeit.
Doch er verfällt nicht in den Fehler, das grausame Gegenbild zur Alternative zu stilisieren. Martin Mosebach hat im „Blutbuchenfest“ die Anatomie eines Dilemmas erfasst, das ebenso urmenschlich wie hochaktuell ist: Kultivierung ist nur um den Preis der Verletzlichkeit zu haben.
Martin Mosebach: Das Blutbuchenfest. Roman. C. Hanser, 448 S., 24,90 €.