Essen. Spannend und ungewöhnlich: Uta-Maria Heims Krimi „Wem sonst als Dir.“ überzeugt rundum. Daran ändern auch die ungewöhnlichen Fußnoten und die Hölderlin-Zitate nichts. Man wird unweigerlich in das Labyrinth der Geschichte hineingezogen - Klein-Auschwitz auf der Schwäbischen Alb inklusive.
Sowas hat uns grade noch gefehlt!, sagt die Bücherfreundin aus Mülheim, die jetzt im Norden wohnt: Ein Krimi mit Fußnoten und Hölderlin-Zitaten wie eine Doktorarbeit. Dann noch dieses Schwäbisch! Und in einem Verlag, der nur Südwestdeutsches druckt!
Alles richtig, sage ich, wäre aber doch schade, wenn ihn nördlich von Heidelberg keiner mehr kauft und liest. Ist doch ein besonders origineller, oft witziger Roman, aber auch ein vielschichtiger, trauriger und abgründiger – so weit entfernt vom „Regionalkrimi“, wie das nur geht. Obwohl und gerade weil er tief in einer Region, ihrer Sprache, ihrer Mentalität und Geschichte verwurzelt ist.
Erzählt wird in wechselnden Perspektiven und Stimmen. Und die Fußnoten schaffen eine weitere, meist historische Ebene. Das verwirrt am Anfang und zieht uns doch immer stärker ins Labyrinth der Geschichte hinein – so ganz nach der Prophezeiung aus Psalm 51: „Siehe, du hast Lust zur Wahrheit, die im Verborgenen liegt.“
Was aber ist diese Wahrheit? Den pensionsreifen Richter K. quält ein „Process“ fast so sehr wie seinen armen Namensvetter aus Kafkas Roman. Vor zwanzig Jahren hat er als junger Staatsanwalt die Höchststrafe für Totschlag gegen den Studienrat Schöller erwirkt, der seine alte Mutter beim Kartoffelschälen erstochen haben soll. Nun quält K. die Frage nach der möglichen Unschuld des Verurteilten und nach seiner eigenen Schuld.
Schöller aber bricht nach 20 Jahren Haft und Psychiatrie aus und auf, es zieht ihn, wie vor zweihundert Jahren den gemütskranken Dichter Hölderlin, dem er sich so verwandt fühlt, nach Tübingen, wo sich eine gute Seele seiner erbarmen wird. Und was er alles mit sich schleppt: Seine Mutter war Köchin im berüchtigten Grafeneck, wo die Nazis mehr als 10.000 behinderte Menschen ermordeten – aber sie ‚weiß von nix’: Klein-Auschwitz auf der Schwäbischen Alb. Schwester Irene rutschte in den 70er-Jahren in die RAF hinein, fand später Unterschlupf in der DDR, wo sie bei einem Unfall ums Leben kam.
Der Richter K. seinerseits hängt an seiner Freundin Klara, die einst als Gutachterin (Hölderlin!) im Fall Schöller aus der DDR kam; jetzt verkauft sie Brezeln im Backshop. Gewitzte Leser/innen merken da vielleicht schon auf und sind von der verborgenen Wahrheit ganz zum Schluss nicht mehr allzu überrascht. Aber spannend und gut gemacht ist das schon!
„Wem sonst als Dir.“ (mit Punkt, nicht mit Fragezeichen), so heißt der Roman. Diese Zueignung schrieb der arme Dichter seiner unerreichbaren Lebensliebe einst ins Buch. Versuchsweise kann man es auf diese oder jene Figuren im Roman beziehen. Aber vielleicht meint die hintersinnige Autorin auch ihre Leserschaft, jeden einzelnen, jede einzelne von uns.
Uta-Maria Heim: Wem sonst als Dir. Roman. Klöpfer & Meyer, 263 S., 20,60 Euro