Essen. . Dass die Amerikaner nicht gerade Weltmeister sind im Verstehen fremder Kulturen, ist ein hartnäckiges, weil immer wieder bestätigtes Vorurteil. Und wenn es um den alten Widersacher Russland geht?! Da muss man zumindest Martin Cruz Smith mit seinem Krimi „Tatjana“ als Ausnahme von der Regel anführen.
Dem vielseitigen Autor Martin Cruz Smith mit teils indianischer Familiengeschichte, inzwischen 70 Jahre alt, verdanken wir ein halbes Dutzend atmosphärisch genauer und spannender Politkrimis, eine Art Chronik der politischen Umbrüche wie auch der russischen Sozial- und Sittengeschichte von Breschnew bis Putin.
Der Untergang der Kursk
Seine neueste Story scheint Cruz Smith ganz aus den aktenkundigen Skandalen und Katastrophen der Putin-Ära geschöpft zu haben: dem „schmutzigen“ Tschetschenien-Krieg, dem Untergang des Atom-U-Boots Kursk, bei dem über 100 Seeleute starben (2000), dem Geiseldrama im Moskauer Musical-Theater mit vielen unschuldigen Toten (2002). Nicht zu vergessen das tragische Ende der tapferen Journalistin Anna Politkowskaja, die über all das kritisch geschrieben hat und 2006, ganz zufällig am Geburtstag des Genossen Putin, in ihrem Treppenhaus erschossen wird.
Im Roman heißt sie Tatjana und ist – oder wird – vom Balkon des gleichen Hauses gestürzt. Vielleicht auch, weil sie sich naseweis in die Machtkämpfe der verschiedenen Mafia-Clans eingemischt hat. Jetzt ist es an Arkadi Renko, dem eigenwillig-widerborstigen Polizeioffizier, der Sache auf den Grund zu gehen. Was ihn nach Kaliningrad führt, einstmals Königsberg und nun angeblich die „korrupteste“ Stadt Russlands. Dort endet alles in einer etwas lächerlichen Verfolgungsfahrt mit Fahrrädern, einem klassischen Showdown auf den Sanddünen der Kurischen Nehrung und ganz zum Schluss mit einer handfesten Überraschung.
Dauerclinch mit sturen Vorgesetzten
Das wollen wir jetzt aber nicht zu streng beurteilen. Sondern lieber noch einmal Arkadi Renko loben. Der ist nun, querköpfig und unbeirrbar, schon gut dreißig Jahre im Einsatz. Hat nicht nur den eisigen Winter von 1980 überstanden (Gorki Park war damals als Buch und im Kino der erste Welterfolg von Cruz Smith), sondern auch den Dauerclinch mit sturen Vorgesetzten, der skrupellosen Konkurrenz vom KGB, schweren Jungs aller Gewichtsklassen und einem nervigen Pflegesohn. Natürlich ist er inzwischen arg ramponiert. Aber er gibt nicht auf – so wie der große Raymond Chandler seinen eigenen „hartgesottenen“ Helden Philip Marlowe beschrieb: „verunsichert – aber nie ganz besiegt.“ Und wer weiß, vielleicht hat dieser zähe und listenreiche Renko ja auch, wie sein Schöpfer, eine indianische Großmutter.
- Martin Cruz Smith: Tatjana. Ein Arkadi-Renko-Roman. Aus dem Englischen von Susanne Aeckerle. C. Bertelsmann, 320 S., 14,99 €