Essen. 250. Geburtstag für den bedeutendsten deutschen Dramatiker und Dichter: Friedrich Schiller. Ein guter Anlass, den Schiller-Forscher Norbert Oellers über das Leben und Wirken des Mannes zu befragen.

Staubig, klassisch, aktuell? Friedrich Schillers 250. Geburtstag ist Anlass, mit einem seiner bedeutendsten Biografen und Forscher zu sprechen. Mit Prof. Norbert Oellers, Herausgeber der Schiller-Nationalausgabe, sprach Lars von der Gönna.

Vor 100 Jahren war Schillers Geburtstag ein großes Ereignis. 2009 ist es: keines?

Norbert Oellers: 1909 galt Schiller noch als Nationaldichter, ob mit Recht oder nicht. Das ganze 19.Jahrhundert war ein Schiller-Jahrhundert und dieses Andenken hat sich einige Jahrzehnte weiter gehalten. Grob gesagt, bis zur Nazi-Zeit, als er d e r Dichter der Deutschen war. Aber man kann wohl sagen, dass die Betriebsamkeit, die Reden und all das heute zusammengeschrumpft auf ein Drittel dessen, was 1909 war. Aber ganz verschwunden ist es nicht.

Schiller selbst wünschte, Epochen zu überdauern...

Oellers: Er hat geschrieben, er wolle ein Zeitgenosse aller Zeiten sein. Und ich glaube, er ist in vielen Dingen enorm modern.

Inwiefern?

Oellers: Als Historiker etwa hat er die Macht der Fiktion im Rahmen des Faktischen entdeckt. Heute leistet sich kein Historiker mehr, bloß trockene Zahlen aneinanderzureihen. Schiller hat pionierhaft gearbeitet: Um Geschichte verstehen zu können, hat er zu Bruchstücken Verbindungsglieder geschaffen. Natürlich aus sich selbst, aus seiner Fantasie. Schiller lebt vor, dass ein Historiker im Grunde auch Erzähler sein muss.

Als Dichter scheint Schiller Lesern fern wie nie.

Oellers: Nicht allen, aber Sie haben schon recht. Es ist nicht die Zeit für klassische Kunst. Ob das nochmal wiederkommt, wage ich zu bezweifeln. Ich bin relativ pessimistisch.

Wer noch ein Schiller-Bild hat, hat ein zutiefst reines, geradezu heroisches.

Oellers: Schuld ist das 19. Jahrhundert, es hat Schiller komplett idealisiert. Goethe hat kräftig daran mitgewirkt. Der Edle, der Würdige, der Keusche, der Sänger der Frauenwürde und Ähnliches – dieses Bild ging von Weimar aus und wurde gern von ganz Deutschland übernommen. Dabei hatte Schiller ein wüstes Jugendleben. Er hat ungeheuer viel getrunken. Sehr viel Geld hat er zeitweise für alkoholische Getränke ausgegeben. Ich glaube, wenn es Drogen gegeben hätte, hätte Schiller sie genommen. Einfach weil er so neugierig war auf alles, was Leben hieß und irgendetwas versprach.

Es gibt in Deutschland keinen Dichter der so oft parodiert worden ist.

Oellers: Stimmt. Allein die Glocke sicherlich 120-mal. Das hat auch etwas mit seiner Art zu produzieren zu tun. So was wie den „Taucher” hat Schiller an einem Vormittag geschrieben. Da schlich sich dann auch Nachlässigkeit ein. Die enorme Produktion kam aus der Angst, nicht genug schreiben zu können. „Wenn mein Gebäude zusammenbricht, dann habe ich vielleicht das Erhaltenswerte aus dem Brande gerettet” schreibt er einmal an Goethe und deutet damit an, dass er in großer Zeitnot war. Das hat dann auch so eingängige Verse erzeugt, wie sie leicht parodiert werden konnten.

Zugleich war diese Eingängigkeit, verbunden mit einem nationalen Ton, später der Grund, dass Schiller von den Nazis so leicht zu missbrauchen war. Mit Goethe konnten sie weniger anfangen. Er ließ sich nicht so einfach für den Ungeist gewinnen. Warum? Weil er ein größerer Dichter war als Schiller.

Sie sagen, Schiller hing nicht sehr an seinem Werk.

Oellers: Schiller hatte ein geradezu kühles Verhältnis zu zurückliegenden Werken. Er war wirklich mit ihnen „fertig”. Wollte jemand seinen „Fiesco” aufführen, war ihm das völlig egal.

Schrieb ihm ein Theaterleiter, ein Stück sei zu lang, war Schillers Antwort völlig schmerzlos: Kürzt doch!

Sie sehen Schillers Schaffen deutlich hinter Goethe. Worin war Schiller der Bessere?

Oellers: Im Drama. Im Grunde war Goethe mit dieser Form nicht glücklich. Schiller ist ein meisterhafter Dramaturg und überaus effektvoller Dramatiker. Die klassischen Dramen wie „Wallenstein” und „Die Jungfrau von Orleans” sind für mich die ganz großen Würfe.

Schiller beschreiben sie mit einem modernen Wort: „Workaholic”.

Oellers: Schiller hat einen unglaublichen Raubbau an seinen Kräften betrieben. Ein Nachtarbeiter, der nur vier, fünf Stunden schlief, ein fast gewalttätig mit sich umgehender Dichter. Er hat sich kaputtgearbeitet.

Als Biograf wissen Sie alles über Schiller. Könnten Sie ihm eine einzige Frage stellen, welche wäre es?

Oellers: Ich hätte ihn gern im Jahr 1800 gefragt: „Glauben Sie, dass Sie das Format Goethes erreichen könnten, wenn Sie ab jetzt noch 20 Jahre hätten?”

Erahnen Sie die Antwort?

Oellers: Sie könnte heißen: „Ich hoffe, ich komme ihm näher.”

Norbert Oellers ist alleiniger Herausgeber der Schiller-Nationalausgabe und gilt als international gefragter Kenner von Leben, Werk und Wirkung Schillers. Er wurde 1936 in Ratingen geboren und war von 1975 bis 2002 Professor für Literaturgeschichte an der Universität Bonn. 1995 wurde er mit dem Schiller-Preis der Stadt Marbach geehrt.

Johann Christoph Friedrich Schiller wird am 10. November 1759 in Marbach am Neckar geboren. Er beginnt seine Ausbildung auf einer Eliteschule des Herzogs Carl-Eugen, wo er schließlich Medizin studiert. 1782 verlässt er Stuttgart, schon hier treffen ihn schwere Krankheiten, vor allem im Lungenbereich, die ihn bis zu seinem Tod schwer belasten. Erst Geschichtsprofessor, später Schriftsteller in Weimar wird er neben Goethe zum bedeutendsten Dichter deutscher Klassik. Mit Dramen wie „Die Räuber” und Balladen wie „Die Bürgschaft” schreibt Friedrich Schiller Literaturgeschichte.