Essen. . Wer hat diesem Mann denn das „r“ in den Nachnamen geschummelt. Vittorio Grigolo kommt, singt und siegt. Die Herzen flogen ihm zu bei seinem Konzert mit den Philharmonikern der Mailänder Scala Samstag in Essen. Montag gastiert er in Dortmunds Konzerthaus.

Lieber Himmel, wie haben die den Burschen damals in der Sixtinischen Kapelle gebändigt? Mag er den Chor katholischer Knaben hinter sich gelassen haben: Reichlich Vorzeige-Italien hat der Tenor Vittorio Grigolo dennoch im Gepäck.

Er krempelt auch schon mal die Ärmel hoch

Ist das ein vagabundierender Gondoliere oder der Sänger, dem die Opern von London, Wien und New York willig die Bühnenpforte öffnen? Samstag Abend sah das so aus: Kniefall vor den Damen auf dem Balkon der Essener Philharmonie, Luftküsschen und weg mit dem engen Sakko: Brust raus, ran ans Publikum. Muskelspielchen mit hohem C? Puristen könnten verärgert abwinken. Singt man so Donizetti, Puccini, Verdi?

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Doch sich dem frechen Flirt des Mannes aus Arezzo zu entziehen, das scheint fast unmöglich. Zu Puccinis „Wie eiskalt ist dies Händchen“ gibt Grigolo auch in Essens wohltemperierter Konzerthalle den fröstelnden Rudolfo, während er bei den unsteten Weiberherzen („La donna è mobile“) keck die Ärmel hochkrempelt: Angriff eines fein pomadierten Ladykillers. Ist das nun Show oder Kunst? Nennen wir es Koexistenz.

Grigolo kann es sich leisten, seine Stimmreserven sind mächtig, sein Tenorstrahl gut gestützt. Nein, er muss sich nichts in schmale Falsett retten, wenn er Spitzentöne ins Publikum schmettert. Alles ist Bühne für diesen Mann. Dass er der Rolle mitunter mehr Tribut zollt als der philologischen Akkuratesse – verziehen. Die üppige Tausendschaft der Philharmonie-Besucher hing an seinen Lippen.

Kein Hüne von Gestalt

Der Charmebolzen wusste einen kolumbianischen Feuerwerkskörper an seiner Seite. Wie Grigolo ist der rasant aufsteigende Andrés Orozco-Estrada kein Hüne von Gestalt. Aber ein Draufgänger am Pult! Wie er die „Filarmonica della Scala“ zur schwelgerischer Raserei bringt, das ist schlicht elektrisierend. Gewiss: Wer so nach dem nächsten Fortissimo-Ausbruch lechzt, wird nicht als Anwalt tief ausgeleuchteter Binnenspannung in die Dirigiergeschichte eingehen.

Recht pauschal und gewaltig (9 Kontrabässe!) erklang Rossinis „Barbier“-Ouvertüre. Unwiderstehlich dagegen, weil schieres Theaterfeuer: die Ouvertüren zu „Sizilianischer Vesper“ und „Nabucco“. Und mit Mussorgskys/Ravels „Bilder einer Ausstellung“ hörte man hier (kurioserweise am aufwühlendsten in den zarten Klangmalereien) den denkbar südlichsten Museumsbesuch.

Effektgeladen, reißerisch

Was für ein denkwürdiger Abend. Effektgeladen, reißerisch, aber auch zum Süchtigwerden vital. Wer’s verpasst hat: Heute, 20 Uhr, sind die Feuerköpfe im Dortmunder Konzerthaus: Tel. 0231 – 22 696 200