Amsterdam.. „Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde“: Das Amsterdamer Stedelijk Museum widmet dem Maler eine großartige Ausstellung, die das Ausnahmeleben eines Ausnahmekünstlers Revue passieren lässt. Ab März 2014 gastiert sie dann in der Bonner Bundeskunsthalle.
Kasimir Malewitsch war als Maler viel zu gut für Stillstand. Kaum hatte er in Moskau 1908 zum ersten Mal zu Gesicht bekommen, was Picasso, Matisse und andere Avantgardisten in Paris so auf die Leinwand brachten, geriet er auf die künstlerische Überholspur. Sofort ließ er von seiner etwas betulichen Mischung aus Symbolismus und russischer Ikonensprache ab. Er malte geradezu meisterlich impressionistisch, wie ein flirrender Sommertags-Monet. Aber nicht lange. Eins, zwei, drei im Sauseschritt, landete er über Pointillismus, Expressionismus, Kubismus, Futurismus und die Manier des Primitiven binnen weniger Monate bei der Abstraktion. Und sogar die überbot er noch einmal, mit seiner „objektlosen“ Kunst des Suprematismus, die 1915 in Malewitschs berühmtestem Bild mündet, dem „schwarzem Quadrat“ – Ikone und Endpunkt der Avantgarde-Kunst zugleich. Deutlicher konnte die Malerei nicht Nein sagen zu allen erdenklichen Ansprüchen, die an sie gestellt wurden.
Das „Schwarze Quadrat“ als Ikone
Malewitsch auf einen Turbo-Avantgardisten zu reduzieren, würde indes ein verblüffendes Spätwerk unterschlagen. Hier kehrte der Maler zu den überragenden Stärken seiner Anfänge zurück. Er malte Porträts, nicht selten in impressionistischer Manier. So lebendig, so faszinierend, dass beim Hinschauen der Atem stockt. Man glaubt, die selbstsichere Elizabeta Yakolevna gleich zu kennen, die einen da von der Leinwand her taxiert, mit einer gewissen Distanz und doch nicht ohne Wärme. Man fragt sich, was den Künstler Ivan Klyun zu seinem mystischen Blick verzückt haben mag – und ist erschüttert, wie der zeitlebens von sich selbst hingerissene Malewitsch zwei Jahre vor seinem Tod ins Nichts zu blicken scheint, auf einem Selbstporträt.
Das künstlerische Hochgeschwindigkeitsleben des Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch mit dem rätselhaften Salto rückwärts am Ende lässt nun eine über 500 Werke starke Ausstellung im Amsterdamer Stedelijk Museum Revue passieren. Jenes Museum also, in dem 1923 die erste Malewitsch-Ausstellung jenseits von Russland stattfand – und das heute über die größte Malewitsch-Sammlung westlich des Urals verfügt, seit man sich 2008 nach einem erbitterten juristischen Tauziehen mit den Erben des Malers auf einen Ausgleich geeinigt hat.
Malewitsch, das macht die Amsterdamer Ausstellung so deutlich wie nie zuvor, war selbst solchen Zeitgenossen wie Marc Chagall oder Vladimir Tatlin weit voraus. Glanzstück der Schau, die am Wochenende von der niederländischen Königin Maxima eröffnet wurde, ist allerdings die Teil-Rekonstruktion eines Raums der legendären „letzten futuristischen Ausstellung“ mit dem Titel „0,10“ in St. Petersburg: Das war damals die Premiere für das „Schwarze Quadrat auf weißem Grund“, das meterhoch in einer Ecke hing – da, wo der russischen Tradition gemäß die Ikone ihren Platz gehabt hätte. Die Bilder darunter wirken wie eine Vorwegnahme dessen, was etliche hundert Kilometer westlich etliche Jahre später als Bauhaus-Kunst Furore machen sollte: abstrakt und von einer ungeahnten Formschönheit. Die Reaktion auf die Ausstellung, die den Durchbruch dieser Kunstrichtung markiert war verheerend, die Kunstkritiker schrieben höhnische Verrisse.
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Im nachrevolutionären Russland der 20er-Jahre drängte Malewitsch indes mehr in die Breite als nach vorn. Er wurde zum Theoretiker und Lehrer seiner Kunstauffassung. Die Vorbehalte der Kommunisten gegen Abstraktes aber wuchsen stetig, der „sozialistische Realismus“ dämmerte herauf, und als Malewitsch 1927 von einer Reise nach Berlin und Dessau heimkehrte, ließ er dort 70 Ölgemälde zurück, die er für eine Ausstellung ausgesucht hatte. Die Verhältnisse in Russland erschienen ihm zu unsicher. Und womöglich war es ihm auch zu unsicher, weiter abstrakt zu malen. Zu einem „sozialistischen Realismus“ aber mochte er sich auch nicht mehr hergeben.