Frankfurt/Main. . Eben hat sie den Deutschen Buchpreis erhalten. So anspruchsvoll ihr Roman “Das Ungeheuer“, so beiläufig und unkompliziert ist eine Begegnung mit der Autorin Terézia Mora. Im Gespräch spricht sie auch über ihr nächstes Buch-Projekt.

Irgendetwas, irgendein Teil von ihr ist immer in Bewegung. Sie streicht Haare zurück, redet mit den Händen, reckt spontan eine Faust in die Höhe: Daumen hoch für den älteren Herrn, der an den Tisch kommt und sich als Fan bekennt. Terézia Mora ist unprätentiös, spontan, ihre Sätze sind geradeheraus. Ihre ganze Art ist ungeheuer unkompliziert. Und wieder beweist sich: Niemals, nie, sollte man von ei­nem Buch auf den Menschen schließen, der es geschrieben hat.

Gewichtiges Werk

Der Deutsche Buchpreis für Terézia Moras Roman „Das Ungeheuer“ ehrt ein gewichtiges Werk, das die verwirrende Vielschichtigkeit der Gegenwart abbildet. Informatiker Darius, Moras Lesern bekannt aus „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, irrt nach dem Selbstmord seiner Frau Flora durch den Südosten Europas. Seine Irrfahrt unterlegt Mora mit seiner Fahndung nach Floras Motiven: Texte aus Floras Laptop finden sich auf der unteren Hälfte des zweigeteilten Romans und erzählen vom Fortschreiten ei­ner schweren Depression.

Die Gemütslage ihrer Protagonistin scheint Terézia Mora denkbar fern, ihre Biografie ist es nicht: 1971 wurde sie in Ungarn geboren, wuchs als Angehörige der deutschen Minderheit in einem 500-Seelen-Dorf auf, das sie mit 19 Jahren verließ. Sie ging nach Berlin, um dort als Übersetzerin Geld zu verdienen, wie ihre Flora.

„Ach, was soll’s, nehmen wir das“

Doch, sagt Mora, „das ist schon mein Heimatdorf. Ich dachte, ach, was soll’s, dann nehmen wir das.“ Und so lesen wir von der Zuckerfabrik, dem Schwimmbad, allgemeiner Tristesse. Was sagt denn Moras Familie zu all dem? „In meiner Familie gibt es nur zwei Menschen, die Bücher lesen“, erklärt Mora, mit lässigem Schulterzucken, „das sind meine Mutter und Großmutter. Ich bin etwas irritiert, weil sie noch erstaunlich guter Dinge sind.“ Sie lacht.

Ist die Depression, an der Flora leidet, ein Kommentar zu Ungarn? Hat es eine Bedeutung, dass Darius, der arbeitslose Informatiker, aus dem Osten kommt? Man kann Terézia Mora ziemlich schnell sauer machen mit solchen Fragen, die auf Herkunft abzielen (sie ist aber auch schnell wieder guter Dinge). Nein, zweimal: Nein!

Neben Informatikern sitzt sie „wie ein Alien“.

Auch Darius hat biografische Bezüge, wieder sagt sie diesen Satz, sie habe es „sich einfach machen“ wollen. „Mein Mann ist Informatiker, und hat ein halbes Dutzend Informatikerfreunde. Ich sitze immer daneben wie ein Alien, darüber könnte man auch eine Comedy schreiben. Ich denke einfach, diese Art von Figuren ist sträflich vernachlässigt in der Literatur, immer sind dort alle interessant oder durchgeistigt.“ Dabei sei niemand so sehr pure Gegenwart wie ein IT-Mensch, dessen Branche un­ser Leben rasant verändert hat: „Es ist aber wirklich eine besondere Herausforderung, den Bewusstseinsstrom einer Figur zu schildern, die nicht belesen und nicht besonders reflektiert ist.“

Mora ist es gelungen, auch mit einem Kunstgriff, den sie seit ihrem ersten Roman „Alle Tage“ weiter ver­feinerte: Dem Wechsel der Perspektive, manchmal sogar innerhalb eines Satzes, vom Ich zur dritten Person. Der Perspektivwechsel entspreche ihrem eigenen inneren Dialog, sagt sie. Und ihrer tiefen Abneigung gegen allwissende Erzähler. Darius weiß nicht einmal, dass seine eigene Ehefrau an Depressionen litt – einer Krankheit, die durch aufreibende Nebenjobs noch befeuert wurde. „Burn-out ist die Krankheit unserer Zeit“, sagt Mora, „so wie Schwindsucht die Krankheit des 19. Jahrhunderts war.“

Ein Erzählband steht an

Auch für sie selbst wird es jetzt stressig: Eine ausgedehnte Lesereise steht für die Preisträgerin an, im Januar schon beginnt ihre Frankfurter Poetikvorlesung, „die muss ich wohl auf dem Bahnhof schreiben“. Danach wird sie die Arbeit an einem Erzählband beginnen, die Figuren hat sie schon im Kopf: „Ich wohne in Prenzlauer Berg. Wenn man ein kleines Kind hat – meine Tochter ist jetzt sechs und gerade in die Schule gekommen –, dann ist der Radius nicht sehr groß und man merkt sich die Leute, denen man jeden Tag begegnet. Das ist mein Material.“ Sie freue sich, nach drei Romanen mal wieder etwas anderes zu machen: „Darauf“, sagt Buchpreisträgerin Terézia Mora, „habe ich jetzt ganz viel Bock“.