Bochum. . Roger Vontobel inszeniert Heldenstoff: Friedrich Hebbels Trauerspiel „Nibelungen“ am Bochumer Schauspielhaus gelingt ihm dank starker Bilder, lebendigen Charakteren und durchweg Großes leistenden Schauspielern. Der Jahrhunderte alte Stoff wird so überzeugend zum Leben erweckt.

Auch sieben Jahre nach dem Mord an ihrem Siegfried vergräbt Kriemhild sich in ihrer Trauer. In der Gruft des Toten versucht sie eine letzte Vereinigung, isst von seiner Asche und reibt sich mit dem Rest den Körper ein.

Roger Vontobels fünfstündige Inszenierung von Friedrich Hebbels „Nibelungen“ am Schauspielhaus Bochum ist voll von solch starken Bildern, die in den Figuren einer alten Heldensage plötzlich sehr lebendige Individuen erkennbar werden lassen. Und dass aus brutaler Politik in Verbindung mit unstillbarem Rachedurst Blutbäder entstehen können, diese Einsicht ist uns auch heute nicht fremd.

Der Regisseur rückt diese Menschen und die fatalen Folgen ihres Handelns so nahe wie möglich ans Publikum heran. Der Zuschauerraum ist durch Lamellen an beiden Seiten stark beschränkt, die Bühne von Claudia Rohner setzt sich als Laufsteg quer durchs Auditorium fort. Der Zuschauer fühlt sich seltsam eingeengt, die psychische Einengung des Dramenpersonals wird spürbar.

Vontobels Inszenierung setzt lange nach dem Mord ein

Der Abend beginnt ganz traditionell. Die Königsfamilie am Hofe zu Burgund rezitiert vor dem Eisernen Vorhang in Mittelhochdeutsch Teile des Nibelungenlieds, bevor der Abend mit Etzels Werbung um die Witwe Kriemhild seinen Anfang nimmt. Vontobel nämlich hat die Akte einfach vertauscht: Er wirft uns mitten hinein in die späten Nachwirkungen eines hinterhältigen Mordes, um erst später zurückzublenden in jene Tage, als noch Frohsinn herrschte am Burgunderhof.

Damals, als Onkel Hagen noch mit den Königskindern herumtollte und der linkische König Gunther (Florian Lange) noch weit entfernt davon war, in Brunhilde die stärkste Frau der Welt mit Siegfrieds Hilfe bezwingen zu wollen.

Aufdringliche Gitarrenakkorde

Trotz der Länge hält Vontobels Inszenierung vor allem der starken Schauspieler wegen gefangen. Jana Schulz überzeugt als eine Kriemhild, die sich in maßloser Trauer nur noch in Dreck und Schmutz kleidet, um später in maßlosem Vergeltungsdrang zur Eisessäule zu erstarren. Werner Wölbern ist als Hagen kein Bösewicht, sondern ein Realpolitiker, der die Folgen seines ebenso pragmatischen wie fürchterlichen Tuns nur nicht richtig eingeschätzt hat.

Felix Rech beginnt als Superheld Siegfried reichlich nassforsch, kommt aber allmählich ins Grübeln. Und Matthias Redlhammer überrascht als ein fast pazifistischer Hunnenkönig, der für seine Gäste gern den Barpianisten gibt. Störend nur: dass der auf der Bühne stets präsente Musiker Keith O‘Brien seine Gitarrenakkorde immer dann aufdringlich anschwellen lässt, wenn wieder Unheil in der Luft liegt.

Der in Bochum übliche lange, begeisterte Premierenapplaus aber war hier wirklich verdient.