Berlin. . Als Kind verschlang sie Bücher von Michael Ende und wollte mit den Helden von Star Trek ins Universum fliegen. Tatsächlich ist Erfolgsautorin Cornelia Funke im Wilden Westen gelandet und überzeugt von der Kraft der Fantasie.
Sie ist die international erfolgreichste deutsche Kinderbuchautorin. Cornelia Funke ("Tintenherz", "Die wilden Hühner") hat mehr als 20 Millionen Bücher in über 40 Ländern verkauft. Die in Kalifornien lebende Funke gastiert am Donnerstag auf dem Hamburger Reeperbahnfestivals, wo sie über digitale Erzählformen referiert und ihre eigene App vorstellt. Im dpa-Interview spricht sie über die Zukunft der Bücher, die Kraft der Fantasie und erklärt, warum sie nicht mehr nach Deutschland zurückkehren will.
Viele Millionen Kinder weltweit verschlingen Ihre Bücher. Von welcher Literatur wurden Sie einst geprägt?
Cornelia Funke: Ich habe natürlich Michael Ende gelesen. Jim Knopf ist für mich noch immer eines der wunderbarsten Bücher, obwohl Li Si so ein Jämmerling von Mädchen ist. Als nächstes liebte ich Tom Sawyer und Huckleberry Finn, die Narnia-Bücher und die Brüder Löwenherz.
Lesen Sie inzwischen auch E-Books?
Funke: Kaum. Obwohl ich - wenn ich für ein Buch recherchiere - meist 40 bis 60 neue Bücher anschaffe. Mein Haus platzt aus allen Nähten, weil ich sie wirklich überall gestapelt habe.
Haben Sie Angst, dass die klassischen Bücher irgendwann verschwinden?
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Funke: Nein, das fürchte ich nicht. Bei den Amerikanern werden zwar schon 60 Prozent digital gelesen. Interessant ist aber, dass gerade junge Leute erst die elektronische Version lesen und sich dann, wenn sie das Buch lieben, die Druckausgabe kaufen.
Viele Ihrer Werke wurden verfilmt. Mit einigen Umsetzungen sollen Sie - gelinde gesagt - nicht besonders zufrieden gewesen sein. Haben Sie auch deshalb zu Ihrer "Reckless"-Reihe jetzt eine eigene App entwickelt.
Funke: Ja, ganz sicher war das ein Grund. Als Autorin hat man natürlich die Sehnsucht, die Bilder im eigenen Kopf für seine Leser sichtbar zu machen. Bei Filmadaptionen klappt das sehr selten, weil sie so sehr verkürzen müssen und selbst wenn sie gut sind, die Bilder des Regisseurs zeigen. Die App zeigt die Welt, die ich sehe. Sie ist ein virtueller Reiseführer für alle, die mit mir hinter dem Spiegel reisen und sie ist so konzipiert, dass sie eigene Bilder anregt, statt sie zu ersticken. Meine Erfahrung ist, dass viele Menschen solche Anregung brauchen, weil sie Angst vor der eigenen Fantasie haben.
Woher kommt diese Furcht?
Funke: Da kleine Kinder sie noch nicht kennen, muss daran wohl oft unser Erziehungssystem schuld sein. Kreativität wird allzu oft als nutzloses Spiel verstanden, als kindisch abgetan. Fantasie wird sehr gerne als Flucht interpretiert. Aber wie Tolkien es schon so treffend sagte: Wer hat denn etwas gegen Flucht außer dem Kerkermeister? Nur wenn wir uns vorstellen können, etwas oder jemand anderes zu sein, können wir Mitleid empfinden, uns selbst infrage stellen, uns als Teil von Allem begreifen.
Dabei kann Fantasie im Alltag eine wichtige Rolle spielen.
Funke: Absolut. Fantasie bereichert den Alltag, aber sie macht auch Fortschritt erst möglich. Fortschritt - ob technologischer oder gesellschaftlicher - geht immer auf utopisches Denken zurück. Wenn wir uns die Welt nicht anders und besser vorstellen können, werden wir sie auch nicht ändern. Wir können nur Raumschiffe bauen, wenn wir vorher davon träumen, zu anderen Planeten zu fliegen.
Sie wohnen seit acht Jahren in L.A. Was reizt Sie an der Stadt?
Funke: Ich liebe zum einen natürlich die Kreativität dieser Stadt. Ein Journalist hat Los Angeles mal als Hauptstadt der Fantasie bezeichnet. Hier trifft man Künstler an jedem Café-Tisch. Das Atemberaubendste für mich ist aber die Natur.
Zieht Sie nichts nach Deutschland zurück?
Funke: Wenn ich noch einmal umziehe, dann in andere Teile der Welt, die ich noch nicht kenne. Das Leben ist ein großes Abenteuer. Es gibt zu viel Neues zu entdecken, um sich zu wiederholen. Im nächsten Jahr bin ich zum ersten Mal in Australien, Neuseeland, Japan, Samoa und Brasilien... L.A. hat die Abenteurerin in mir wieder geweckt. Als Kind war ich ein großer Star-Trek-Fan und wollte Astronaut werden. Leider konnte ich nicht mit Kirk und Spock in den Weltraum reisen, aber ich bin wenigstens im Wilden Westen gelandet.
Sie wurden 2005 vom "Time"-Magazine zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt gekürt. Hat Ihnen das Angst gemacht?
Funke: Das bestimmt nicht. Ich bin kein ängstlicher Mensch. Es hat mich eher amüsiert. Ich saß in New York mit all den aufregenden Menschen um mich herum und sagte mir: "Gut, Cornelia, tu einfach mal so, als ob sie Recht hätten. Was heißt das? Nutze den Einfluss, um ein paar Kerzen in der Dunkelheit anzuzünden." Die "Time"-Liste war ein guter Anlass, mein Engagement für Kinder- und Umweltschutz noch wesentlich intensiver zu betreiben. (dpa)