Essen. Der erste saudi-arabische Spielfilm, der in unsere Kinos kommt: „Das Mädchen Wadjda“, zum großen Teil mit deutschen Geldern entstanden, bietet eine Kindersicht aufs Leben. Regie führte eine Frau: Haifaa Al Mansour, die auch das Drehbuch schrieb und dabei einen mutigen Drahtseilakt wagte.

Wadjda ist zehn Jahre alt und wandelt scheinbar problemlos zwischen den Welten. In den eigenen vier Wänden dominiert der Westen, draußen vor der Tür der Islam. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Das Haus ihrer wohlhabenden Eltern verfügt über alle Errungenschaften des zivilisierten Zeitvertreibs, die schöne Mutter ist fast freizügig gekleidet und singt nach Herzenslust. Geht sie nach draußen, ist sie bis auf einen Sehschlitz von Kopf bis Fuß verhüllt. In der Schule lernen die Mädchen, dass die Stimme das intimste Or­gan einer Frau sei, also hätten sie auf der Straße zu schweigen.

Natürlich ist „Das Mädchen Wadjda“ nicht der erste Film über die aus westlicher Sicht frappierenden Widersprüche in einem islamischen Land. Aber selten wurden diese Eindrücke so intensiv und aus erster Hand vermittelt: Die saudi-arabische Dokumentaristin Haifaa Al Mansour (Buch und Regie) wollte in ihrem Spielfilmdebüt die Welt beschreiben, in der sie aufgewachsen ist: Fesseln spürt nur, wer sich bewegt. Und Wadjda (Waad Mohammed) bewegt sich ziemlich viel. Sie ist ein aufmüpfiges Kind und nicht sonderlich religiös, weshalb sie sich in der Schule immer wieder Monologe ihrer Rektorin anhören muss.

Womöglich ist es Al Mansour, die erste saudi-arabische Filmemacherin überhaupt, einst ebenso ergangen. Sie hat ihre Heimat verlassen, um an der amerikanischen Universität in Kairo Literatur und in Sydney Film zu studieren. „Das Mädchen Wadjda“ ist der erste Film, der komplett in Saudi-Arabien realisiert worden ist. Heute gilt die Regisseurin als Sprachrohr ihrer Landsfrauen, die vielerorts nur Menschen zweiter Klasse sind.

Mutter fürchtet nach Fahrradsturz um die Jungfräulichkeit des Kindes

Wadjda wird in einigen Jahren einen ähnlichen Weg einschlagen wie Al Mansour. Ein einfaches Alltagssymbol genügt, um das rebellische Potenzial zu verdeutlichen: Sie wünscht sich nichts sehnlicher als ein Fahrrad und nimmt gar am Koranwettbewerb ihrer Schule teil, weil der Siegerin ein hohes Preisgeld winkt.

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Da sich „Das Mädchen Wadjda“ auch an Kinder richtet, darf dieser Weg nicht zum Ziel führen, zumal die muslimische Frau nicht Fahrrad fahren soll. Deshalb ist es auch nur vordergründig komisch, wenn Wadjda bei einer Probefahrt stürzt und die herbeieilende Mutter prompt um die Jungfräulichkeit des Kindes fürchtet.

Filmisch mag das zu großen Teilen mit deutschem Geld entstandene Drama konventionell sein. Doch die Brisanz verbirgt sich hinter den Bildern. Die Kritik am repressiven System kommt zwar nur unterschwellig zum Ausdruck, ist aber dennoch deutlich: Sie entsteht durch die Unschuld des Mädchens, das hier und da Gerüchte aufschnappt und sich seinen Reim auf die gelebte Doppelmoral etwa der gottesfürchtigen Rektorin macht. Der überraschende Schluss legt zudem die Hoffnung nahe, dass auch die Generation der Mütter ihre Fesseln abwerfen will.