München. Ein Mädchen auf einem Rad - in Saudi-Arabien unvorstellbar. Nicht jedoch für Wadjda. In Haifaa Al Mansours Film lehnt sich das Mädchen gegen die strikten Moralvorstellungen auf. Die Regisseurin will damit den Menschen in ihrer Heimat zeigen, dass es auch anders geht.
Haifaa Al Mansour ist mutig. In ihrem Kinodebüt "Das Mädchen Wadjda" gibt sie Einblicke in eine Welt, die eigentlich für Außenstehende verschlossen ist. Es ist der Alltag im konservativ- religiösen Königreich Saudi-Arabien, in dem Frauen für den Kontakt nach draußen auf ihre Männer angewiesen sind. Der Film erzählt von einem Mädchen, dass sich gegen diese Einschränkungen auflehnt und unbedingt ein Fahrrad haben will, auch wenn sich das für Frauen nicht schickt. Die Regisseurin weiß, wie ihre Heldin fühlt, wuchs sie doch selbst in einer saudi-arabischen Kleinstadt auf. Mit ihrem Film will sie den Frauen Mut machen - und die Männer zum Nachdenken bringen. "Es ist wichtig, den Leuten Beispiele vor Augen zu führen, in denen sie die Schönheit erkennen können, die darin liegt. Denn oft tun sie etwas, nur weil sie glauben, es wäre cool", sagte die inzwischen in Bahrain lebende Al Mansour im Interview der Nachrichtenagentur dpa.
Sie wollten einen Film machen, in dem es auch um Erinnerungen an Ihre eigene Schulzeit geht. Wo gibt es Ähnlichkeiten zwischen Wadjda und Ihnen?
Haifaa Al Mansour: Meine Schule war genauso wie im Film. Ich habe auch Turnschuhe unter meiner Uniform getragen so wie Wadjda. Das Mädchen ist allerdings stark an eine Nichte von mir angelehnt. Sie ist sehr temperamentvoll, sie hat Humor, sie macht nicht immer das, was andere wollen, sie akzeptiert kein Nein und sie ist viel draußen unterwegs. Ich mag diese Einstellung sehr. Inzwischen ist meine Nichte aber konservativer geworden. Ich empfinde das als großen Verlust. Es gibt in meiner Gesellschaftsschicht so viele Mädchen, die etwas verändern könnten, wenn sie die Chance dazu hätten. Aber ihr Leben ist sehr eingeschränkt.
Wie fühlten Sie sich als Kind unter diesem Druck?
Al Mansour: Meine Eltern haben mich immer sehr unterstützt. Ich hatte ganz selten das Gefühl, dass sie mir etwas nicht erlauben würden. Aber als ich in die Schule kam, wusste ich genau, dass mir vieles verwehrt war. Als Teenager wollte ich dann wie alle anderen sein. Meine Familie war sehr offen, ihr war vieles egal. Ich wünschte mir, dass sie konservativer wären. So, wie alle anderen. Ich bin mit normalen Kindern zur Schule gegangen und wollte dazugehören.
Inzwischen ist Ihr Leben überhaupt nicht mehr angepasst. Wann hat sich Ihre Einstellung geändert?
Al Mansour: Als ich angefangen habe, zu arbeiten, in einem Ölkonzern. Mich hat diese ganze Welt frustriert. Ich konnte nichts machen, ich konnte nicht allein zur Arbeit gehen, kein Geschäft eröffnen. Es gab so viele Hindernisse. Ich wollte mich beruflich weiterentwickeln, ich hatte Träume, ich wollte etwas aus eigener Kraft erreichen. Ich wollte, dass man mich sieht und hört. Aber als Frau fühlte ich mich so unsichtbar. Das tat weh. Ich konnte nicht ins Einkaufszentrum gehen, ohne mein Gesicht zu bedecken. Das ist jetzt anders. Ich muss nur noch mein Haar bedecken. Saudi-Arabien öffnet sich, es wird ein bisschen toleranter. Viele junge Leute sind online und haben virtuelle Freunde in aller Welt. Das verändert die Gesellschaft.
Was bedeutet Filmemachen für Sie?
Al Mansour: Filme habe ich schon immer geliebt. Zu Hause waren wir zwölf Kinder. Es war ein verrücktes Haus. Mein Vater hat für uns immer viele Filme ausgeliehen, damit er in Ruhe die Zeitung lesen konnte. In diesen Filmen lag so viel Kraft, weil sie ein Fenster zur Welt waren. Wir sahen die USA, wir sahen verliebte Menschen, Dinge, die es in unserer kleinen Welt nicht gab.
Mit "Wadjda" konnten Sie ihren Traum vom Filmemachen auch auf der großen Leinwand verwirklichen. Wie war der Dreh in Saudi-Arabien mit den strikten Regeln für den Umgang zwischen Männern und Frauen?
Al Mansour: Ich habe mich die meiste Zeit versteckt. Das Land ist geteilt. Wenn ich draußen unterwegs bin, darf ich nicht mit Männern arbeiten und ihnen Befehle geben. Ich saß deshalb meistens in einem Van vor einem Monitor und wir haben über Walkie-Talkies miteinander gesprochen. Die anderen waren alle draußen, ich war drinnen. Ich habe die ganze Zeit geschrien: "Macht das eine so und das andere so." Am Ende der Dreharbeiten war ich heiser.
Wie hat sich das angefühlt?
Al Mansour: Es hat mich frustriert, dass ich nicht bei den Schauspielern sein konnte. Ich war die ganze Zeit gefangen auf so engem Raum. Ich wollte raus. Aber es war eine gute Übung für mich als Filmemacherin, vor allem in Geduld. Und ich habe gelernt, hart mit den Schauspielern zu arbeiten, um ihnen das Wesentliche einer Szene zu vermitteln.
Haben die Männer in Ihrem Team denn Ihre Anweisungen befolgt?
Al Mansour: Ja, wenn auch mitunter etwas zögerlich. Wie alle Männer, mussten wir sie manchmal erst auffordern. Und hin und wieder musste ich mich behaupten. Das lag sicher auch an der Mentalität. Aber vielleicht lag es auch daran, dass ich klein und zierlich bin. Wenn ich größer und kräftiger wäre, würde ich einschüchternder wirken. Aber es war nie besonders schlimm.
Wie haben Sie es geschafft, ihr Projekt in Saudi-Arabien durchzusetzen?
Al Mansour: Im Vorfeld sind immer wieder viele Leute abgesprungen, sie dachten, es würde nicht funktionieren. Dann kam Rotana Studios an Bord, die Produktionsfirma von Prinz Alwaleed Bin Talal, der sehr fortschrittlich ist, auch was Frauen anbelangt. Es passte zu seiner Vision, dass Rotana bei uns mitmachte. Ich war sehr froh, denn er hat uns in letzter Minute gerettet. Seine Gesellschaft versucht, Kunst ins Land zu bringen. Und große konservative Kräfte arbeiten dagegen. Sie wollen keine Filme sehen und erst recht keine Frauen, die Filme machen. Es gibt eine große Lobby dagegen, die das verhindern will.
Wie haben die Menschen reagiert, wenn Sie irgendwo auf der Straße gedreht haben?
Al Mansour: Wir haben zum Teil in sehr konservativen Gegenden gefilmt. Wir haben angefangen und sie haben uns davongejagt. Damit hatte ich gerechnet. Genau das hatte ich erwartet. Aber dann gab es Gegenden, wo sie uns Essen und Wasser gebracht haben und sie wollten, dass wir dort drehen. Sie wollten sehen, was beim Filmen passiert. Ich fand das sehr erstaunlich, weil ich dachte, dass die Leute überall konservativ wären und uns nicht da haben wollten. Es ist schön, dass sich das ändert.
Wie war es, "Wadjda" zum ersten Mal in Ihrer Heimat zu zeigen?
Al Mansour: Wir hatten ein öffentliches Screening in einer großen Halle. Wir hatten Tickets für mehrere Vorstellungen. Die waren sofort weg. Das war cool. Ich war sehr nervös und war sehr glücklich, die Leute lachen und weinen zu sehen. Mir ist es sehr wichtig, den Leuten das Gefühl zu geben, dass ihnen der Film gehört. Sie sollen stolz darauf sein, dass er umherreist und sie repräsentiert.
Wie hat die Regierung auf den Film reagiert?
Al Mansour: Sie sind sehr stolz. Ich habe versucht, einen Film zu machen, in dem ich meinen eigenen Standpunkt vertrete. Aber trotzdem wollte ich auch zu Hause gefeiert werden und die Leute nicht verletzen oder ihre Kultur anprangern. Es geht darum, Frauen Kraft zu verleihen an einem schwierigen Ort, wo ihnen vieles verwehrt wird. Ich habe versucht, nicht wütend zu sein und niemanden anzuklagen. Ich glaube, das schätzen sie.
Ihr Film wird überall hochgelobt und hat schon zahlreiche Preise bekommen. Hoffen Sie nun auch auf einen Oscar?
Al Mansour: Natürlich. Aber es ist ein harter Wettbewerb. Trotzdem hegen wir große Hoffnungen.